Die Dichterin von Aquitanien
wirkte ihre Erscheinung weniger gepflegt als die der normannischen Ritter vom Schlage Guy de Osteillis. Das Haar wuchs wild auf ihren Häuptern, und in ihre wuchernden Bärte waren manchmal bunte Zöpfe geflochten. Verglichen
mit diesen Gestalten wirkte sogar Henri geschniegelt. Marie meinte, Krieger aus uralten Sagen vor sich zu sehen.
»Malcolm, König von Schottland, Rhys, Prinz von Südwales, Owen, Prinz von Nordwales«, verkündete die Stimme eines Herolds, während ein Gefolge aus schlichter gekleideten, aber ebenso wilden Gestalten den Saal betrat. Marie empfand plötzlich Erleichterung, dass die ihr vertrauten Ritter hier eindeutig in der Überzahl waren.
Die Anführer der wüsten Kriegerschar sanken vor dem König und seiner Gemahlin auf die Knie und sprachen laut einen Eid der Treue aus. Sie streckten ihre Hände Henri entgegen, der aufstand, um ihnen den Freundschaftskuss zu geben, wie er es bei festlichen Anlässen mit seinen Vasallen tat. Verhaltener Jubel erklang im Saal. Marie begriff, dass soeben ein Sieg gefeiert wurde.
Die Gäste und ihre Gefolgschaft verteilten sich im Saal, dann wurde das erste Gericht aufgetragen. Marie sah, wie Hawisa eine große Schüssel balancierte, um sie auf der Tafel abzustellen. Einer der Ritter streckte seine Hand nach der Dienerin aus und ließ sie flink wie eine Maus über deren Oberkörper und Hüften huschen, während die Schüssel noch in der Luft schwebte. Hawisa zuckte zurück. Ein Schwall von Suppe schwappte über den Schüsselrand.
»Die Kleine fühlt sich nicht schlecht an, aber sie hat wenig Fleisch auf den Knochen«, verkündete der Ritter lautstark und löste grölendes Gelächter bei seinen Tischnachbarn aus. Nur Guy de Osteilli verzog das Gesicht. Marie blickte hoffnungsvoll zu Aliénor, die ein derartiges Betragen bei einem Ritter sicher nicht dulden würde. Doch die Königin war in ein Gespräch mit ihrer Schwester Petronilla vertieft.
Eine Weile verharrte Hawisa völlig still. Die schwere Schüssel schwebte über dem Kopf des Ritters, und Marie
meinte, den Wunsch, sie einfach nur fallen zu lassen, in aller Deutlichkeit auf dem Gesicht ihrer Freundin lesen zu können. Dann senkte Hawisa den Blick. Ihre Lippen wurden zu dünnen Strichen, während sie pflichtbewusst die Suppe auf der Tafel abstellte und durch eine kleine Eingangstür verschwand.
Marie schoss in die Höhe und eilte ebenfalls hinaus. Wenn sie Hawisa in diesem Moment alleinließ, durfte sie sich nicht mehr ihre Freundin nennen. Allerdings musste sie einen anderen Ausgang benutzen, denn wäre sie durch den ganzen Saal gelaufen, um Hawisa zu folgen, hätte dies zu Gerede und spöttischen Fragen der anderen Damen geführt. Die Burg von Woodstock war ihr nicht so vertraut wie Westminster und selbst dort hätte sie nicht genau sagen können, wo Dienstmägde sich versteckten, die einen Augenblick der Ruhe suchten. Eine Weile ging Marie ratlos durch den Gang, der sich vor ihr aufgetan hatte. Ein anderes Mädchen mit einem schweren Weinkrug in der Hand kam ihr entgegen.
»Weißt du, wo Hawisa sein könnte?«, fragte Marie. Mit dem Kopf wies die Dienstmagd in jene Richtung, die zu den Latrinen führte, huschte dann davon, als habe sie Angst, weiter von einer Dame befragt zu werden, deren Sprache sie offenbar kaum verstand. Auf der Suche nach jemand anderem, der ihr vielleicht Auskunft geben könnte, setzte Marie weiter Fuß vor Fuß.
»Und ich könnte wetten, der bildet sich jetzt ein, dass er die Rothaarige bekommt!«, vernahm sie plötzlich eine Männerstimme in ihrer Nähe auf Englisch. Marie blieb stehen. Dicht neben ihr öffnete sich der Gang zu einem kleinen Raum, wo sie einige Wachmänner an einem Tisch sitzen sah. Sie mussten ihren Dienst hinter sich gebracht haben, teilten sich nun einen Braten und drei Krüge Wein. Sie beschloss
weiterzugehen, bevor sie diesen Männern auffiel, denn sie konnten ihr kaum Auskunft über Hawisa geben.
»Woher weißt du überhaupt, dass dieser Wilde eine Verwandte des Königs zur Frau bekommt?«, fragte gleich darauf ein anderer Mann. Marie erstarrte. Für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus, und sie lehnte sich an die Mauer des Gangs, um ungesehen lauschen zu können.
»Von dem Ritter Guillaume de Monfort, der in Wales dabei war. Das war eines der Versprechen des Königs, damit die Waliser Frieden geben. Da diese Halbwilden es mit dem Gebot der Einehe nicht so genau nehmen, gibt es bei ihnen keinen großen Unterschied zwischen ehelichen Kindern und
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