Die Dichterin von Aquitanien
abstieß. Ihr war, als wäre sie gezwungen, verfaultes Fleisch zu essen, obwohl allein dessen Geruch sie vor Ekel würgen ließ.
Unter dem Tisch spürte sie plötzlich die weiche Berührung einer Hand, die über ihren Arm glitt.
»Ich habe mich umgehört, Marie«, flüsterte Hawisa auf Französisch. »Dein Mann ist sehr schwach und kränklich. Zunächst war er der Herr über Deheubarth, aber in einem Kampf wurde er so schwer verletzt, dass er sein Amt dem nächsten Bruder übergeben musste. Dieser starb, danach kam Rhys an die Macht.«
Marie nickte, obwohl sie nicht begriff, was all dies Gerede sollte, außer aufzuzeigen, dass Guy de Osteilli nicht die ganze Wahrheit herausbekommen hatte.
»Er hatte seit seinen Verletzungen keine Geliebte mehr«, fuhr Hawisa nun deutlicher fort. »Ich denke, er wird keine großen Forderungen an dich stellen, weil er … nun, ich vermute, er ist nicht in der Lage dazu.«
Obwohl Marie auch diese Worte nicht ganz begriff, zog sie Trost daraus.
Als die Mägde begannen, Bretter und Schüsseln abzuräumen, waren die Köpfe vieler Gäste bereits auf den Tisch gesunken. Prinz Rhys unterhielt sich lautstark mit den noch wachen Männern, immer wieder unterbrochen von Gwenllian ferch Madogs energischer Stimme. Obwohl Aliénor selbst eine freche Zunge besaß, hätte sie ihre Damen für derart lautes, ungehobeltes Betragen vermutlich gerügt. Marie überlegte, dass Rhys Gemahlin auf ihre Art nicht weniger eindrucksvoll wirkte als die aquitanische Herzogin. Im Geiste sah sie Gwenllian ein Streitross besteigen und
ihre Krieger mit aufmunterndem Gebrüll in eine Schlacht führen, wohl wissend, dass sie dabei auch ihr eigenes Leben riskierte. Ob es wohl auch ein Lied über die tapfere Mutter von Rhys und Cadell gab? Marie begann nach den richtigen Worten dafür zu suchen.
»Es ist Zeit«, sagte Cadell ap Gruffydd in diesem Moment laut. »Ich habe mich heute vermählt, und nun soll mein Weib mich in mein Gemach begleiten.«
»Nun, dann brecht auf«, erwiderte sein Bruder Rhys spöttisch. »Oder sollen wir euch alle begleiten und zusehen?«
Schallendes Gelächter ertönte. Gwenllian ferch Madog hob ihren Bierkrug.
»Ich wünsche euch viel Vergnügen. Zeig der Normannin, was ein echter walisischer Mann ist, Cadell!«, rief sie mit breitem Grinsen. Ein bitterer Ausdruck huschte über Cadells Gesicht. Maries Bewunderung für die stämmige Waliserin begann zu schwinden. Musste eine Frau jedes Feingefühl aufgeben und sich wie ein wüster Krieger gebärden, damit sie die Anerkennung von Männern gewann?
Marie sprang auf. »Meine Gefolgsdame wird mich für die Nacht herrichten«, flüsterte sie Cadell zu, um etwas Zeit zu gewinnen. Er nickte nur.
Gemeinsam mit Hawisa erklomm Marie die Stufen in den Turm, wo sich ihre Kammer befand. Sobald sie sich in der vertrauten Umgebung befanden, schlug sie die Tür zu und kämpfte mit dem Wunsch, den kleinen Tisch davorzuschieben, damit niemand mehr eindringen konnte.
»Setz dich, Marie. Ich werde dein Haar bürsten«, meinte Hawisa sanft. Marie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es hat keinen Sinn«, fuhr Hawisa fort. »Du kannst nicht entkommen. Warte ab und bete. Viele Frauen sind einer unglücklichen Ehe irgendwie entkommen, und sei es durch die Witwenschaft. Dein Mann ist alt und schwächlich.«
Ein Bild aus ihrer Kindheit tauchte in Maries Gedächtnis auf. Sie sah die schwachsinnige Adèle am Galgen baumeln, mit beiden Beinen hilflos ins Leere treten, ohne zu begreifen, was mit ihr geschah.
Hawisa riss sie aus dieser Erinnerung, indem sie ihre Hände auf Maries Schultern legte und sie auf einen Schemel drückte. Dann entfernte sie das Diadem, den Schleier und das Gebände und begann, Maries Haar zu bürsten.
»Sei sanftmütig und reize ihn nicht«, plapperte Hawisa indessen weiter. »Die Mägde hier erzählen, dass Cadell sehr empfindlich ist, seitdem er schwer verletzt wurde. Wenn du ihm gefällst, wird dein Leben leichter sein. Dein Haar ist sehr hübsch.«
»Das einzig Hübsche an mir«, erwiderte Marie bissig. »Und ich weiß jetzt schon, dass ich ihm nicht gefalle. Da wurden heute zwei Schafe zur Schlachtbank gezerrt: ein alter verkrüppelter Bock und eine Aue mit Lockenfell.«
Sie lachte wild auf und krümmte sich, um Hawisas Bürste zu entkommen. Ein energischer Griff an ihrer Schulter zwang sie wieder in eine aufrechte Haltung. Hawisa hielt ihr eine lederne Flasche hin.
»Da, nimm einen tiefen Schluck. Das ist Branntwein. Er wird
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