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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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annahmen. Zwei Blätter standen Marie zur Verfügung, ein winziges, hölzernes Fass und ein Federkiel. Dieses Werkzeug musste genügen, damit ihr Traum bewahrt blieb. Die Geschichte von der schönen Dame im Turm und jenem Ritter, der in vogelähnlicher Gestalt nachts in ihr Gemach flog, nahm in Maries Kopf viele Wege. Manchmal brauchte es mehrere Tage, bevor sie einen einzigen Satz niederschrieb, denn er musste vollkommen sein.
    Während sie im Rittersaal an Cadells Seite saß, ein paar Brocken Nahrung zu sich nahm und diese sogleich mit Bier hinunterspülte, spann sie die Geschichte in ihrem Kopf weiter. Der Gesang des Barden Owein brachte noch mehr Kraft und Farbe in jene Welt, die Marie für sich ersann. Sobald sie mit Cadell allein im Schlafgemach war, musste sie allerdings vorsichtig sein, denn gelegentlich formte ihr Mund wie von selbst Worte, die Teil ihrer eigenen, streng gehüteten Welt waren, von der ihr Gemahl nichts ahnte. Ihre Handgelenke waren sehr schmal geworden. Manchmal drehten sich die steinernen Wände, wenn sie zu schnell aufstand. Aber all das war Marie gleichgültig geworden, denn sie existierte nur noch als Quelle, aus der geschriebene Worte sprudelten.
    Eines Nachts riss Cadells lautes Schnarchen sie aus ihren
Träumen. Marie wälzte sich zur Seite, doch schien ihr die Luft in der Kammer so stickig, dass jeder Atemzug zur Qual wurde. Sie stand auf, schlüpfte in ihre Chemise, ging zur Fensteröffnung und öffnete die Läden, um frische Luft hereinzulassen. Ihr wurde etwas schwindelig, doch gleichzeitig überkam sie eine unerwartete Gier nach dem Duft der Freiheit, sodass sie das Fenster auch von dem ledernen Tuch befreite. Silbernes Mondlicht floss herein, bedeckte ihre nackten Arme, ihre Chemise und den Boden, auf dem sie stand. Die Erinnerung an ein Leben außerhalb dieser Burg überkam sie plötzlich wie ein Rausch. Marie wollte ein einziges Mal wieder einfach loslaufen können und gehen, wohin es ihr gefiel.
    Ohne weiter zu überlegen, ergriff sie ihre Wolldecke, schlüpfte in die Fellpantoffeln und schlich aus dem Gemach. Die Burg lag in tiefem Schlaf. Sie schützte die Talgkerze, die sie mitgenommen hatte, mit ihrer Handfläche und stieg zaghaft die Treppe hinab, bis sie zum Ende des Turms gelangte. Dann durchquerte sie den Rittersaal und nahm die Treppe die zum Burghof führte. Vor dem Tor blieb sie jedoch stehen. Im Hof wäre sie den Blicken von Wachmännern am Eingangstor ausgesetzt, die vielleicht Cadell von ihrem nächtlichen Ausflug berichten konnten. Unentschlossen lag ihre Hand auf dem Riegel der Tür.
    »Warum wehrst du dich so sehr gegen alle Veränderungen«, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme auf Normannisch. »Deine Landsleute leben in Abgeschiedenheit. Eure Traditionen sind uralt, ja, so alt, dass sie allmählich modrig riechen. Es gibt keine Städte in Wales. Keine Händler, die hier ihre Waren aus fernen Ländern anbieten. Hättest du nur einmal London gesehen, dann …«
    »Ich habe es gesehen, dein London«, unterbrach jemand, bei dessen Normannisch noch eine fremde Sprache mitklang.
»Ja, es ist groß und bunt. Voller Briten, die unter dem Joch der Normannen stöhnen. Ihr habt uns dieses Land entrissen, und nun kennt eure Gier keine Grenzen mehr.«
    Marie trat einen Schritt zurück und näherte sich den Stimmen. Rechts neben sich entdeckte sie eine kleine Tür. Sie gab ein wenig Licht frei, das in die Dunkelheit drang. Voller Neugier tastete sich Marie heran und spürte erschrocken, wie sie mit der Spitze ihres Pantoffels gegen einen Holzscheit trat. Er flog gegen die Tür. Marie blies schnell ihre Kerze aus, dann verharrte sie regungslos. Es war hell in dem Raum. Sie sah eine Hand, die einen brennenden Kienspan hielt. Ängstlich wich sie zur Seite und presste sich gegen das Gemäuer. Sie sollte sich nun unauffällig davonschleichen, das wusste sie. Aber ihre Kerze brannte nicht mehr. Außerdem wollte sie nicht gehen, sondern erfahren, worum es in dieser Unterhaltung wirklich ging. Sie wandte ihr Gesicht dem offenen Türspalt zu und erkannte Guy de Osteillis braune Locken. In dem Raum brannte ein Kohlenbecken, doch reichte es nicht aus, um die eisige Winterkälte zu bekämpfen. Marie rätselte daher, warum Guy sowohl Surcot als auch Chemise abgelegt hatte. Es wäre eine merkwürdige Idee, sich mitten in dieser frostigen Nacht waschen zu wollen. Ratlos musterte sie seinen nackten, geschmeidigen Rücken. Auch unbekleidet war Guy eine höchst elegante Gestalt,

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