Die Dichterin von Aquitanien
in der Lage gewesen, all dies hinzunehmen, ohne in bissige Scherze zu verfallen, doch das Gefühl, eine unsichtbare, schützenden Kraft in ihrer Nähe zu wissen, erfüllte sie mir Ruhe.
»Seid mir gegrüßt, Madam«, begann ihr Besucher auf Englisch. Marie hob den Kopf und erblickte einen kleinen Mann mit einem breiten, freundlichen Gesicht. Sein Haar war bereits
ergraut, und zwischen zahlreichen Falten sah sie goldbraune Augen blitzen.
»Es hat etwas gedauert, bis Ihr mich sehen wolltet«, sagte er ohne jeden Vorwurf in seiner Stimme. »Aber es ist gewiss nicht leicht für Euch gewesen, sich hier in der Fremde einzuleben. Es heißt, der normannische Hof sei viel edler und feiner als alles, was wir Waliser einer Frau bieten können. Ich hoffe, Ihr werdet eines Tages die Schönheit unseres Landes erkennen können.«
Marie musterte ihn erstaunt. Seine Worte klangen so warm wie eine tröstende Umarmung.
»Ich habe durchaus schöne Dinge in diesem Land gesehen«, begann sie. »Doch da mein Gemahl mich hier gefangen hält, sind sie mir nicht mehr zugänglich.«
Vater Brian seufzte, ließ sich ihr gegenüber nieder und nippte an dem Bierkrug, den sie in weiser Voraussicht hatte hinstellen lassen.
»Cadell fällt es sehr schwer, Menschen zu vertrauen, denn er wurde von ihnen enttäuscht«, sagte der Priester. »Ich kenne ihn von Kindheit an. Einst war er ein stolzer, tapferer Kämpfer für unser Land. Doch Gott prüfte ihn schwer. Ich versuche bereits seit vielen Jahren, ihn Demut zu lehren, damit sein Los ihn nicht mehr derart quält. Selbst nach Rom habe ich ihn begleitet. Doch seine Ohren sind taub geworden. Ich erreiche ihn nicht mehr.«
Marie nickte. Sie hatte bereits begriffen, welcher Wall von Verbitterung Cadell umgab.
»Auch Euer Los ist hart, Madam. Glaubt nicht, ich wüsste es nicht«, fuhr Vater Brian fort. »Als ich hörte, man habe eine Braut für Cadell gefunden, da hoffte ich, er würde endlich wieder Glück in seinem Leben finden können. Doch er scheint nicht bereit, die Geschenke des Herrn anzunehmen.«
Marie überlegte, ob sie dem Priester von der neuen Entwicklung erzählen sollte. Seit sie regelmäßig Cadells Wurm streichelte, schien er zufriedener und friedlicher als jemals zuvor. Aber diese Dinge wollte ein Kirchenmann sicher nicht hören, würde sie gar sündhaft nennen. Sie senkte den Blick.
»Mein Los ist hart«, sagte sie, weil eben dies von ihr erwartet wurde. »Doch muss es Gottes Wille gewesen sein.«
Es war der Wille ihres königlichen Onkels gewesen, der sie in diese Ehe gezwungen hatte, und Gott hatte es nicht verhindert. Marie sah ein, dass man ihr Schicksal deshalb ebenso gut Gottes Willen nennen konnte, aber es fiel ihr schwer, einen Gott zu lieben, der ihr all dies antat. In den letzten Tagen hatte sie mehr Vertrauen in das Rabenamulett entwickelt. Aber diese Dinge einem Priester zu erklären, schien ihr wenig angebracht, ganz gleich, wie freundlich er auch auftreten mochte.
Vater Brian nippte nochmals an dem Bierkrug. Dann richteten sich seine goldbraunen Augen abermals auf Marie.
»Als Diener des Herrn ist es meine Pflicht, Euch zu helfen, Madam«, sagte er, als habe er ein paar von ihren Gedanken erahnt und wolle unausgesprochene Vorwürfe widerlegen. »Wenn Eure Qual zu groß wird, so kommt zu mir, und ich werde versuchen, Linderung zu finden.«
Vielleicht hätte diese Äußerung sie vor Kurzem bitter auflachen lassen, doch nun spürte Marie die Ehrlichkeit der Worte wie eine sanfte Berührung. Sie musterte das Gesicht des alten Kapellans. Güte und Hilfsbereitschaft waren in aller Deutlichkeit darin zu lesen. Sie entspannte sich ein wenig. Dieser Priester war nicht ihr Feind.
»Ich werde mein Bestes tun, um Cadell Zufriedenheit zu schenken«, begann sie wahrheitsgemäß, verschwieg aber, dass sie dadurch vor allem ihr eigenes Los erleichtern wollte.
Vater Brian lächelte, und Marie schoss ein Gedanke durch den Kopf. Sie verwarf ihn sogleich, doch er setzte sich fest. Es war einen Versuch wert.
»Es gibt vielleicht Möglichkeiten, wie Ihr dazu beitragen könntet, mein Leid zu lindern, Vater Brian.« Marie holte tief Luft. »Ihr beherrscht die lateinische Sprache?«
Die goldbraunen Augen des Priesters weiteten sich, dann nickte er.
»Nicht so gut wie Bischöfe oder Kardinäle, aber ich kann die Bibel lesen«, sagte er.
»Dann bitte ich Euch, mich Latein zu lehren«, sprach Marie endlich ihren Wunsch aus. »Ich hatte bereits ein wenig Unterricht, aber es war nicht
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