Die Dichterin von Aquitanien
erröten sah. Sie holte Luft.
»Manchmal schlafen Menschen schlecht und sehnen sich nach Luft und Bewegung«, murmelte sie hilflos.
Der Ritter nickte. »Das verstehe ich natürlich. Aber …« Er verstummte für einen Moment und fuhr sich mit der Hand durch seine Locken. »Ma Dame Marie«, sagte er dann
lauter und dringlicher. »Ich habe keinerlei Recht, Euch um Erbarmen anzuflehen. Als Ritter des englischen Königs hätte ich vielleicht die Möglichkeit, rechtzeitig vor einer Strafe zu fliehen. Aber Owein, er … Er liebt seine Heimat. Müsste er sie verlassen, dann wäre es, als würde ihm jemand ein Körperteil abhacken. Ich bitte Euch, schweigt über das, was Ihr gesehen habt.«
Fassungslos sah Marie den eitlen Ritter auf die Knie sinken. Sie verstand zunächst nicht, warum er dies tat, denn sie empfand sich als die unwichtigste Person in dieser Burg. Dann wurde ihr allmählich klar, dass manche Sünden nicht nur das Seelenheil sondern auch die irdische Existenz eines Menschen gefährden konnten, wenn sie bekannt wurden. Sie unterdrückte den Wunsch, Guy zu umarmen und ihm zu gestehen, wie zauberhaft der Anblick echter Liebe für sie gewesen war. Stattdessen setzte sie eine gefasste Miene auf, wie Aliénor es in peinlichen Situationen gewöhnlich tat.
»Ich verstehe nicht, wovon Ihr redet, Sire. Ich habe in dieser Nacht tief geschlafen, hatte nur einen seltsamen, sehr schönen Traum, doch sehe ich keinen Grund, meinem Gemahl oder Vater Brian davon zu erzählen.«
Guy de Osteilli erhob sich wieder. Seine Miene entspannte sich ein wenig. Tiefe Dankbarkeit und Erleichterung lagen in seinem Blick.
»Euer Gemahl ist mit den meisten seiner Männer nach Dinefwr aufgebrochen«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Sein Bruder wünscht ihn zu sehen. Deshalb konnte ich zu Euch kommen, obwohl es mir verboten wurde. Aber ich hätte vielleicht schon früher die Möglichkeit finden können, heimlich nach Euch zu sehen. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich mich schäme, weil ich einer jener Menschen war, die Euch dieses Los aufgebürdet haben.«
»Ihr habt Befehle ausgeführt, nichts weiter«, erwiderte Marie kühl.
»Eben das sage ich mir auch. Aber gegen mein Schuldgefühl hilft es nicht immer. Ich habe nicht erwartet, Euch Glück zu schenken, als ich Euch an Henris Hof brachte, aber dies … Es steht Euch ins Gesicht geschrieben, wie unglücklich Ihr seid. Ich schwöre Euch, wenn der richtige Augenblick kommt, dann werde ich Euch helfen, so gut ich nur kann.«
Marie nickte, auch wenn dieses Versprechen ihr wenig Trost schenkte. Was konnten Guy und seine zwei normannischen Männer schon gegen Cadells Gefolgschaft ausrichten? Um von diesem unerfreulichen Thema abzulenken, rief sie nach der Dienstmagd und ließ einen Krug Bier ins Zimmer bringen. Bald darauf trank Guy entspannt davon.
»Was habt Ihr da eigentlich geschrieben, als ich hereinkam?«, fragte er verschmitzt. Marie rutschte nervös auf dem Schemel herum.
»Nichts … Ich … Ich meine, ich schrieb meine Sünden auf, um sie Vater Brian zu beichten«, murmelte sie und zweifelte sogleich an der Glaubwürdigkeit dieser Lüge. Aber Guy bohrte nicht weiter nach. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund, dann erhob sich der Ritter.
»Ich habe Euch während unserer Reise nach Chinon erzählen hören und kenne Eure Begabung«, meinte er zum Abschied.
Eine Woche später sah Marie Hawisa in der Truhe wühlen und beglückwünschte sich für ihre Vorsicht, die beschriebenen Pergamentblätter unter der Matratze zu verstecken. Ihre Zofe zog emsig die fünf Bliauts heraus, die Marie inzwischen ihr Eigen nannte, und untersuchte sie nach Flecken und Rissen.
»Du musst edel aussehen, wie es sich für die Nichte des englischen Königs gehört«, erklärte sie dabei. »Dein Gemahl wünscht, dass du Eindruck machst.«
In Wahrheit hatte Cadell nur gemeint, Marie solle versuchen, nicht ganz so mausig auszusehen wie sonst, aber vielleicht beschrieben Hawisas Worte denselben Wunsch auf rücksichtsvollere Weise. Wie sah die Nichte eines Königs aus, die ihrem Onkel völlig gleichgültig war? Marie wollte nicht darüber nachdenken. Sie ließ zu, dass Hawisa die Bliauts gegen ihren Körper hielt, um deren Wirkung zu überprüfen.
»Du brauchst kräftige Farben, um zur Geltung zu kommen«, entschied sie. Marie staunte, dass Emma und ihre Zofe in einer Sache derselben Meinung waren.
»Ich schlage vor, wir nehmen die dunkelrote Seide, in der du geheiratet hast. Sie bringt dein Haar
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