Die Dichterin von Aquitanien
genug. Ich würde gern lateinische Texte lesen und verstehen können.«
Sie hielt es für klüger, ihre Ausgabe des Ovid unerwähnt zu lassen, denn ein Kirchenmann konnte an dem heidnischen Dichter der Liebe Anstoß finden. Sobald sie genug Latein beherrschte, wäre es ihr endlich möglich, weiter in dem Buch zu lesen, das in den Tiefen ihrer Truhe verborgen lag.
Vater Brian senkte den Kopf und rieb sich die Schläfen.
»Dies ist ein sehr ungewöhnlicher Wunsch, Madam. Die Bibel zu lesen, ist nur das Recht der Angehörigen der heiligen Kirche. Ihr seid keine Nonne.«
Marie wippte unter dem Tisch ungeduldig mit dem Fuß. Um die Bibel ging es ihr nicht wirklich, aber wie sollte sie diesem Mann ihr wahres Anliegen erklären, ohne dadurch seine Unterstützung zu verlieren?
»Der Drang, die lateinische Sprache zu lernen, ist in mir stets sehr stark gewesen«, begann sie vorsichtig. »Gott in seiner Allmacht hat mir die Gabe geschenkt, Sprachen schnell begreifen zu können. Warum sollte es dann nicht sein Wille sein, dass ich dieses Talent nutze?«
Die Worte waren wie von selbst auf ihre Zunge geglitten.
Nun erschrak sie ein wenig über ihre eigene Dreistigkeit. Ihr war bewusst, dass der Pfarrer in Huguet sie als hochmütig und anmaßend bezeichnet hätte, da sie selbst darüber entscheiden wollte, was Gottes Wille war.
Vater Brian räusperte sich. »Nun, wenn es Euch Kraft gibt, die lateinische Sprache zu lernen, so will ich Euch dabei helfen, Madam, denn ich vermag nichts Böses an Eurem Begehren zu erkennen«, sagte er. Marie fühlte, wie ein Rausch der Freude durch ihren Körper zog. Seit ihrer Abreise aus Westminster hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt.
»Ihr seid ein sehr gütiger Mann, Vater Brian«, rief sie. Es war ihr mit einem Mal möglich, auch wieder an einen gütigen Gott zu glauben, da er ihr diesen Diener geschickt hatte. Dann sprudelte der nächste Wunsch aus ihr heraus: »Könnte ich auch Pergament und Tinte bekommen, um das Schreiben des Lateinischen zu üben?«
Der Priester nickte nach kurzem Zögern.
»Ich werde versuchen, etwas davon in einem Kloster zu besorgen. Aber ich bitte Euch, damit sparsam umzugehen, Madam.«
Marie versprach es. Dann lud Vater Brian zur Beichte. Sie gestand bittere Gedanken gegen Gott und erhielt die Absolution. Ihre Finger verkrampften sich ungeduldig in der Erwartung, einen Federkiel in die Hand nehmen zu können. Wenn sie ihre Träume von dem blondgelockten Ritter niederschrieb, dann wären sie greifbarer und blieben ihr für immer erhalten.
11. Kapitel
E s war Winter geworden. Nachts wurden die Fenster mit hölzernen Läden verschlossen, was zu völliger Finsternis führte. Tagsüber war es kaum heller. Lederne Tücher sperrten Licht und Kälte aus. Die von Aliénor verachtete Talgkerze schenkte nur spärliches Licht, doch wagte Marie nicht, ihren Gemahl um mehr Beleuchtung zu bitten, denn dies hätte ihn misstrauisch machen können. Seit Monaten beschränkte ihr Leben sich nun hauptsächlich auf diese Kammer. Manchmal wurde sie von Unruhe befallen und lief rastlos herum. Sie brauchte ungefähr zehn Schritte, um von einer Ecke zur nächsten zu gelangen.
Seit sie gelernt hatte, Cadells Wurm mit Geschick zu streicheln, war er nach den abendlichen Gelagen im Rittersaal zu ihrem regelmäßigen Gast geworden. Sie wusste, wie sie ihre Berührungen allmählich beschleunigen musste, damit das zufriedene Grunzen so rasch wie möglich ertönte. Dadurch blieben ihr die Versuche des Gemahls, in ihren Körper einzudringen, weitgehend erspart, und das Tasten und Greifen seiner gesunden Hand war weniger geworden. Ganz vermochte sie den Ekel nicht abzuschütteln, doch sie lernte, ihn aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, so wie sie es damals in Huguet getan hatte, wenn sie manchmal im Dorf beim Schlachten und beim Ausmisten von Ställen geholfen hatte. Cadell Befriedigung zu schenken, war eine unangenehme
Pflicht, durch deren Erfüllung ihr Leben allerdings erträglicher wurde.
Ob es der Trank gewesen war, den sie nun regelmäßig in den Bierkrug schüttelte, das Rabenamulett oder auch die Hilfsbereitschaft von Vater Brian wusste sie nicht. Vermutlich hatte all dies zusammen geholfen.
Die Tage füllte sie mit jenen Momenten, da der Priester sie in der lateinischen Sprache unterwies. Dann kam die Zeit der Stille und des Schreibens. Worte waren kostbar wie Juwelen, sie mussten gesucht, gewogen und für würdig befunden werden, bevor sie auf dem Pergament Gestalt
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