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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Liebender heimlich zu beoachten. Ihre Wangen glühten vor Scham.
    Guy war aufgesprungen. Er zerrte seine Beinkleider hoch und warf ihr einen flehenden Blick zu. Owein lag hilflos da wie ein Lamm unter dem Messer des Schlachters. Stummes Entsetzen war ihm ins Gesicht geschrieben, doch er regte sich nicht, sondern harrte machtlos der Dinge, die ihn nun heimsuchen würden.
    Sie schnappte nach Luft, suchte verzweifelt Worte, die ihr Bedauern und Schuldgefühl ausdrücken konnten. Aber in ihrem Kopf war nichts als Leere. Panisch rannte sie ins Dunkel hinein, stolperte über die erste Treppenstufe und schrie nochmals, als deren Kante sich in ihr Knie bohrte. Dann erwachte ihr Verstand. Langsam und vorsichtig kroch sie weiter, tastete sich auf allen vieren durch den Rittersaal, um über niemanden zu stolpern. Sie schlich in den Turm und floh in ihr Gemach. Durch die Öffnung, die sie am Fenster hinterlassen hatte, floss immer noch Mondlicht. Cadells Brust hob und senkte sich, als wäre nichts geschehen, und sein Schnarchen erfüllte weiter den Raum. Marie befestigte den Lappen wieder am Fenster, schloss die Fensterläden, tastete sich zum Bett und streifte ihre Pantoffeln ab. In ihre Decke gewickelt suchte sie die Erlösung des Schlafs, aber es kribbelte in ihren Eingeweiden, als liefen kleine Tiere darin
herum, und ihr Leib bebte vor Aufregung. Aus Gründen, die sie nicht begreifen konnte, begann Marie zu weinen.
    Cadell verließ das Gemach bereits im Morgengrauen. Erleichtert über sein Verschwinden sank Marie in einen tiefen Schlaf, der ihr noch leidenschaftlichere Träume schenkte als jemals zuvor. Unwillig schlug sie die Augen auf, als Hawisas Stimme in ihr Bewusstsein drang. Ihre Zofe balancierte das Morgenmahl auf einem Brett.
    »Nun ist es wirklich Zeit aufzustehen. Ich habe schon ein paar Mal nach dir gesehen, aber du hast so friedlich geschlafen, dass ich dich nicht stören wollte«, erklärte sie übertrieben fröhlich, doch der Blick, den sie Marie zuwarf, war besorgt wie immer in letzter Zeit.
    Marie legte sich wieder ihre Decke um die Schultern und kam mühsam auf die Beine. Sie wäre gern länger liegen geblieben, doch verspürte sie kein Verlangen nach weiteren Ermahnungen ihrer Zofe. Gemeinsam tranken sie eine heiße Hühnerbrühe und nagten an dunklem Brot. Marie war ein wenig hungriger als sonst, als hätte das eigenartige Erlebnis der vergangenen Nacht ihre Lebensgeister geweckt. Dann zog Hawisa los, um in der Burg nach dem Rechten zu sehen. Marie hörte noch Bruchstücke ihrer Unterhaltung mit einer Dienstmagd und staunte, wie schnell Hawisa die Sprache der Waliser lernte. Sie selbst lebte in diesem Gemach wie auf einer Insel.
    Entschlossen zog sie das Schreibwerkzeug aus der Truhe. Ganz gleich, was von dem gestrigen Erlebnis zu halten war, sie ahnte nun etwas mehr von dem wahren Wesen der Liebe. Ihr Ritter würde seiner Dame niemals Schmerz oder Leid zufügen wollen, aber er konnte dennoch etliche Nächte in ihrem Gemach verbringen, um ein überirdisches Strahlen des Glücks auf ihr Gesicht zu zaubern. Maries Gänsekiel raste
kratzend über das Pergament. Jene Worte, nach denen sie bisher qualvoll gesucht hatte, schienen ihr geradezu aus der Hand zu fließen.
    Erst als das Klopfen an der Tür so laut geworden war, dass Cleopatra begeistert mitkrächzte, nahm auch Marie es wahr. Unbedacht rief sie: »Herein!«, und erschrak sogleich über ihre eigene Gedankenlosigkeit. Das Schreiben war ihr größtes Geheimnis, in das sie nicht einmal Hawisa eingeweiht hatte. Schnell ließ sie ihr Pergament unter den Tisch fallen, wo es hoffentlich unbemerkt bleiben würde.
    Vor ihr stand Guy de Osteilli, nun wieder angemessen gekleidet. Er hatte Schatten unter den Augen und räusperte sich verlegen.
    »Darf ich mit Euch reden?«
    Marie nickte nur. Seit ihrer Ankunft in Wales hatte der Ritter kaum mit ihr gesprochen, da seine ganze Aufmerksamkeit dem hübschen Barden gegolten hatte. Dann wurde die Erinnerung an die vergangene Nacht wieder lebendig, und Marie begriff, weshalb er gekommen war. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Gab es ein schamloseres und schändlicheres Verhalten, als heimlich zwei Liebende zu begaffen?
    »Gestern Nacht«, haspelte der Ritter, »da bin ich sehr unvorsichtig gewesen. Ich hatte vergessen, eine Tür abzuschließen. Es war so still in der Burg. Doch schienen trotzdem Menschen durch die Finsternis zu schleichen.«
    Marie legte die Hände auf ihre Wangen, damit Guy de Osteilli sie nicht

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