Die Dichterin von Aquitanien
zum Strahlen. Dazu nimmst du das Diadem mit den kleinen Perlen, das Aliénor dir geschenkt hat. Du wirst umwerfend aussehen.«
Marie zweifelte an ihrer Fähigkeit, jemals eine derartige Wirkung zu erzielen. Wurde eine Krähe zu einem Paradiesvogel, nur weil man sie mit bunten Farben bemalte?
»Was soll das alberne Getue?«, rief sie verärgert. »Prinz Rhys will seinem normannischen Nachbarn Walter de Clifford einen Besuch abstatten. Cadell und ich sollen mitkommen. Man hält mich plötzlich für wichtig, weil ich die Nichte eines Königs bin. Aber dieser König hat sich niemals nach meinem Wohlbefinden erkundigt, seitdem er mich hierher abgeschoben hat. Es ist völlig egal, ob ich eine strahlende Schönheit bin oder eine abgemagerte Krähe, was der Wahrheit viel näher kommt.«
Hawisa seufzte.
»Glaub mir, es ist wichtig, denn es geht bei diesem Besuch um eine bedeutende Sache«, sagte sie nur. Marie fehlte
die Kraft, um weiter nachzubohren. Erschöpft ergab sie sich Hawisas Tatendrang.
Der Bliaut war so fest geschnürt, dass er ihren Oberkörper einzwängte, als sie sich in den Wagen setzte. Wieder einmal litt sie unter dem engen Gebände, um ihren Kopf. Marie zwang sich, ihre Hände im Schoss ruhen zu lassen, denn sonst hätte sie Hawisas Kunstwerk vielleicht zerstört, bevor sie am Ziel angekommen waren. Langsam holperte der Wagen durch die hügelige Landschaft von Wales. Weicher Nieselregen fiel wie oft in dieser Gegend. Die Schritte der Pferde klangen wie ein mühsames Ächzen. Marie sehnte sich nach ihrem Gemach, nach Pergament und Gänsekiel, doch blieb ihr nichts weiter übrig, als geduldig darauf zu warten, dass sie wieder zurückgebracht wurde.
Walter de Cliffords Burg Bronllys lag am Ufer eines breiten, reißenden Flusses. Marie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die wilde Landschaft, während sie das Eingangstor passierten.
Der Burgherr, ein mittelgroßer, ergrauter Mann mit freundlichen Gesichtszügen, begrüßte die Waliser in seinem Rittersaal, wo Speisen und Getränke großzügig aufgetragen worden waren. Marie musterte die kahlen Steinwände und Talgkerzen, die in kreisrunden, eisernen Behältern über der Tischfläche hingen. Nichts hier erinnerte an die Pracht Henris großer Burgen. Man verließ Wales nicht einfach dadurch, dass man das Heim eines Normannen betrat.
»Es ist mir eine große Ehre, Euch hier empfangen zu können, Prinz Rhys von Deheubarth«, sagte der freundliche Mann auf Englisch. »Einst waren wir Feinde, doch erwärmt es mein Herz, dass andere Zeiten angebrochen sind.«
Der Prinz neigte zur Begrüßung sein Haupt. Zusammen mit Gwenllian ferch Madog, deren Gebände bereits etwas
schief saß, nahm er seinen Platz neben dem Burgherrn ein. Marie folgte Cadell. Bald schon saßen sie Seite an Seite, so wie jeden Abend im Rittersaal, und blickten in verschiedene Richtungen, um einander nicht ansehen zu müssen.
Bedienstete trugen immer neue Speisen herein. Drei Gaukler traten auf, ließen Hunde durch Reifen springen und schlugen selbst Purzelbäume in der Luft. Die Erinnerung an Guillaume stach in Maries Brust. Sie nippte an ihrem Becher, denn wie gewöhnlich empfand sie keinerlei Appetit. Als schließlich ein mittelmäßiger Barde auf seiner Harfe zu klimpern begann, sehnte Marie sich nach Oweins leidenschaftlichen Darbietungen, während sie darauf wartete, dass dieser sinnlose Abend auf sein Ende zulief. Gelangweilt ließ sie ihren Blick über die versammelten Gäste wandern. Ritter schwatzten und brachen aus irgendwelchen Gründen in grölendes Lachen aus. Gwenllian mischte sich wie üblich mit ein, als sei sie ein Kind, das unbedingt an lustigen Spielen teilhaben wollte. Ihr Gegenüber saßen zwei halbwüchsige Jungen, die kicherten und sich gegenseitig schubsten, wenn sie meinten, unbeobachtet zu sein. Sie erinnerte sich, dass Walter de Clifford seine Kinder vorgestellt hatte. Daneben waren seine drei Töchter aufgereiht wie Hühner auf der Stange. Sie schienen stille, folgsame Mädchen, zu wohlerzogen, um irgendeinen hörbaren Laut von sich zu geben. Marie musterte langsam eine nach der anderen. Es war die dritte, sichtlich das älteste Kind des Burgherrn, an der ihr Blick plötzlich hängen blieb, denn sie erinnerte an einen Engel. Ihr goldenes Haar glänzte im Kerzenlicht. Das Gesicht war herzförmig und von weicher, rosiger Haut bedeckt. Ein hübsches Grübchen hatte sich ins Kinn dieses Mädchens gegraben. Als Prinz Rhys sich schließlich erhob, um sein Anliegen
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