Die Diebe von Freistaat
des kaiserlichen Geburtstags, eine für den Tag des Regimentsgottes, eine für den Tag- und eine für den Nachtdienst, eine weitere für Bestattungsfeierlichkeiten -, die sie sich alle selbst anschaffen mußten. Die einfachen Soldaten waren da besser dran. War ihre Aufmachung nicht ganz den Bestimmungen entsprechend, schrieb man es dem Geiz ihrer Offiziere zu.
Aber wie lange war es nun schon her, daß genügend Karawanen in die Stadt kamen, von denen die Herren Offiziere Bestechungsgelder hatten erwarten können, die es ihnen wiederum ermöglicht hätten, sich entsprechend einzukleiden?
Es waren wahrhaftig schlechte Zeiten, wenn die beste Verkleidung, die ein Offizier sich bei Privatgeschäften leisten konnte, ein pflaumenblauer Umhang war, der ausgerechnet dort ein Loch hatte, wo die Rüstung zwischen den Beinen hindurchschimmern konnte.
Als sie ihn sah, dachte Jarveena plötzlich an Gerechtigkeit. Oder vielmehr, um genauer zu sein, an Rache. Vielleicht bestand längst keine Hoffnung mehr, den Meuchler zur Rechenschaft zu ziehen, der ihre Eltern umgebracht, ihr Landgut ausgeplündert, die Kräftigen versklavt, seine halbwahnsinnigen Truppen auf Kinder losgelassen hatte, damit sie ihre Lüste befriedigten, während das Dorf, das seine Bewohner Hain genannt hatten, in Schutt und Asche unterging.
Aber es gab noch anderes. Hastig entriß sie dem — glücklicherweisen letzten —Werbejungen den Becher, den sie ihm ohnehin viel zu lange gelassen hatte. Seinen Versuch zu murren erstickte sie im Keim, indem sie ihre Stirn so stark runzelte, daß eine Narbe sichtbar wurde, die gewöhnlich unter einer Locke verborgen war. Das tat sie üblicherweise nur, wenn alles andere versagte. Es verfehlte auch die gewünschte Wirkung nicht. Der Junge schluckte heftig und drehte sich um, um wieder seiner Arbeit nachzugehen. Nur kurz gönnte er sich noch, an die Wand des nächsten Hauses zu urinieren.
Genau wie Jarveena erwartet hatte, bog Aye-Gophlan um die Ecke, nachdem er sich mehrmals umgedreht hatte, als fühle er sich ohne seine übliche Eskorte von sechs großen Soldaten unsicher, und begab sich zum Hintereingang des Skriptoriums, und zwar dem in der krummen Gasse, wo die meisten Seidenhändler ihre Läden hatten. Nicht alle von Melilots Kunden wollten gesehen werden und kamen deshalb nicht von der breiten, menschenüberfüllten Straße zum Haupteingang.
Jarveena drückte eilig Krug, Teller und Becher einem Lehrling in die Hand, der noch zu jung war, dagegen aufzubegehren, und befahl ihm, die Sachen in die Küche zu bringen - sie schloß an die Binderei an, mit der sie eine Feuerstelle teilte. Dann schlich sie sich hinter Aye-Gophlan und hüstelte, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Kann ich Euch behilflich sein, Hauptmann?«
»Ah ...« Aye-Gophlan erschrak sichtlich und er legte hastig die Hand um etwas Stockförmiges unter seinem Umhang, zweifellos eine dicke Schriftrolle. »Ah ... Guten Tag. Ich habe ein Problem, das ich mit deinem Meister besprechen möchte.«
»Er dürfte dabei sein, sein Mittagsmahl einzunehmen«, sagte Jarveena in ihr geeignet erscheinendem unterwürfigem Ton. »Gestattet mir, Euch zu ihm zu führen.«
Melilot mochte es gar nicht, beim Essen oder seinem anschließenden Schläfchen gestört zu werden. Aber etwas an des Hauptmanns Benehmen sagte ihr, daß es sich hier um einen Ausnahmefall handelte.
Sie öffnete die Tür zu Melilots Allerheiligstem und meldete den Besucher schnell genug an, um dem Zorn ihres Arbeitgebers zuvorzukommen, denn sie sah, daß er gerade dabei gewesen war, einen riesigen Hummer auf einem silbernen Tablett zu verspeisen. Sie wünschte sich, es gäbe eine Möglichkeit, das nun stattfindende Gespräch zu belauschen.
Doch das zu ermöglichen, war Melilot viel zu vorsichtig.
Im besten F all hatte Jarveena damit gerechnet, ein paar Münzen von Melilot zu bekommen, falls das Geschäft sich als einträglich erwies. Sie war deshalb sehr überrascht, als sie eine halbe Stunde später zu ihm gerufen wurde, Aye-Gophlan war noch da. Der Hummer war kalt, aber nicht weniger geworden, dafür standen nun mehrere leere Weinkannen herum.
Bei ihrem Eintreten bedachte der Offizier sie mit einem mißtrauischen Blick. »Ist das das Küken, das Eurer Meinung nach das Geheimnis ergründen kann?« fragte er scharf.
Jarveena schluckte. Was hatte Melilot sich da wieder einfallen lassen? Aber sie wartete stumm auf nähere Anweisungen, die die hohe und leicht schrille Stimme des feisten Mannes ihr
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