Die Diebe von Freistaat
auch schnell erteilte.
»Der Hauptmann hat ein Schriftstück zu entziffern. Vernünftigerweise hat er es zu uns gebracht, die wir imstande sind, mehr fremde Zungen zu übersetzen als jegliches andere Skriptorium. Es wäre möglich, daß es in Yenized verfaßt ist, womit du vertraut bist, was ich bedauerlicherweise von mir nicht behaupten kann.«
Jarveena konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken. Wenn das Schriftstück in irgendeiner bekannten Sprache oder Schrift verfaßt war, würde Melilot sie ganz sicher erkennen, ob er sie nun übersetzen konnte oder nicht. Das deutete auf eine Verschlüsselung hin. Wie interessant! Wie kam ein Gardeoffizier zu einer Kodebotschaft, die er nicht entschlüsseln konnte? Sie blickte zwar erwartungsvoll, aber nicht übereifrig drein, und schließlich händigte AyeGophlan ihr die Schriftrolle widerwillig aus.
Ohne sich anmerken zu lassen, daß sie ihn ansah, warf sie einen Blick auf Melilot, der ihr nicht weniger heimlich zunickte. Das bedeutete, daß sie seinen Worten zustimmen sollte.
Aber ...
Was in aller Welt war das? Nur ihre starke Selbstbeherrschung verhinderte, daß sie das Schriftstück fallen ließ. Ein einziger Blick darauf genügte schon, einen schwindelig zu machen. Ihr war, als hätte sie geschielt, und einen Herzschlag lang hatte sie geglaubt, die Botschaft ganz deutlich lesen zu können, aber schon im nächsten ...
Sie faßte sich und sagte fest: »Ich glaube, es ist Yenized, genau wie Ihr vermutet, Meister.«
»Glauben?« schnaubte Aye-Gophlan. »Aber Meister Melilot versicherte mir, daß du es sofort lesen kannst.«
»Das Yenized, wie es jetzt gesprochen wird, durchaus, Hauptmann«, bestätigte Jarveena. »Doch dies hier scheint die ältere und höfische Form zu sein, die für mich so schwierig ist, wie es das Hochrankene für einen Hirten wäre, der es gewohnt ist, mit seiner Herde zu schlafen.« Es war immer höflich, sich selbst geringer zu machen, wenn man mit jemandem wie dem Hauptmann sprach. »Glücklicherweise hat mein Meister jedoch eine Bibliothek, wie man sie sich besser gar nicht wünschen könnte. Mit Hilfe seiner Nachschlagwerke wird es mir bestimmt gelingen, zumindest herauszufinden, worum es in diesem Schriftstück geht.«
»Wie lange wirst du dazu brauchen?« fragte AyeGophlan heftig.
»Oh, bestimmt nicht länger als zwei oder drei Tage«, warf Melilot in einem Ton ein, der keinen Widerspruch duldete. »Da dies ein so ungewöhnlicher Auftrag ist, braucht Ihr nur zu bezahlen, wenn Ihr eine zufriedenstellende Übersetzung bekommen habt.«
Jarveena ließ die Schriftrolle fast ein zweitesmal fallen. Noch nie hatte Melilot einen Auftrag angenommen, ohne nicht zumindest die halbe Gebühr im voraus entrichten zu lassen. An diesem Schriftstück mußte schon etwas ganz Besonderes sein ...
Und das war es auch. Das dämmerte ihr in dem Augenblick, als sie die Zähne zusammenbeißen mußte, damit sie nicht zu klappern anfingen.
»Warte hier«, befahl der fette Meister ihr und mühte sich auf die Füße. »Ich komme gleich zurück, nachdem ich den Hauptmann hinausgebracht habe.« Kaum hatte die Tür sich hinter den beiden geschlossen, warf sie die Schriftrolle auf den Tisch ganz in die Nähe des Hummers, von dem sie so gern gekostet hätte, müßte sie nicht befürchten, daß es bemerkt würde. Die Schrift wand und verzog sich zu neuen Mustern, das bemerkte sie, obgleich sie sich bemühte, nicht hinzusehen. Dann war Melilot zurück, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und nahm einen Schluck aus dem halbvollen Weinkelch.
»Du bist schlau, du kleines Wiesel«, lobte er mit widerwilliger Bewunderung. »Bist du auch klug genug, mir sagen zu können, weshalb weder er noch ich — und auch du nicht—dieses Schriftstück zu lesen vermag?«
Jarveena schluckte schwer. »Es — es ist verhext«, antwortete sie nach kurzer Pause.
»Ja, genauso ist es! Und das ist besser als jede Verschlüsselung. Für alle außer dem rechtmäßigen Empfänger wird die Schrift sich stetig verändern.«
»Wie ist es möglich, daß der Hauptmann das nicht selbst erkannt hat?«
Melilot kicherte. »Man muß nicht lesen und schreiben können, um Hauptmann zu werden. Er kann vielleicht gerade erkennen, ob der Truppenschreiber den Wachtraport, den er zumindest mit einem Kreuz unterzeichnen muß, mit dem richtigen Ende nach oben hinlegt, aber bei etwas Komplizierterem fängt sein Kopf ohnehin an sich zu drehen.«
Melilot riß dem Hummer eine Schere ab und knackte sie mit
Weitere Kostenlose Bücher