Die Diebe von Freistaat
daß sie bis Sonnenuntergang hängenbleiben müssen. Komm dann zurück.«
»Langer Weg heim. Er ist schon tot—warum warten?« »In Freistatt herrschen nun Gesetz und Ordnung, Bauer, wie es in Ranke üblich ist. Und die rankanischen Gesetze müssen geachtet werden, ohne Ausnahme!« Dubro starrte auf den Boden, ließ die Schultern hängen und spielte sichtlich verlegen mit den Händen.
»Im Regen kann ich die Sonne nicht sehen. Wie soll ich da wissen, wann ich zurücckehren muß?«
Wache und Schmied starrten beide zum stahlgrauen Himmel und jeder wußte, daß er bis zum Abend nicht aufklären würde. Da stapfte der Höllenhund mit lautem Seufzer zu den Seilen, suchte kurz und band schließlich den Strick los, an dem Dubros »Vater« hing, so daß der Gehenkte in den Morast fiel.
»Nimm ihn und verschwinde!«
Dubro hob den Toten auf den Rücken und stapfte zu Illyra, die am Rand der Hinrichtungsstätte wartete.
»Er — er—er ist ...«, keuchte sie.
»Seit Sonnenaufgang tot«, unterbrach er sie.
»... besudelt und stinkt. Sein Gesicht ...«
Wieder ließ er sie ihren Satz nicht beenden. »Du wolltest einen Toten als Opfer.« »Aber keinen solchen!«
»Gehenkte sehen eben nicht besser aus!«
Sie gingen zur Leichenhalle, dem Reich von Freistatts Totengräbern und Bestattern. Für fünf Kupferstücke fand sich schließlich einer der letzteren bereit, die Leiche herzurichten. Für eine weitere Münze hätte er ihnen auch seinen Karren und seinen Sohn zur Verfügung gestellt, um den bedauernswerten ehemaligen Dieb zum Friedhof außerhalb des Siegestores zu bringen, damit er dort auf ehrliche Weise bestattet würde. Illyra und Dubro täuschten große Trauer vor und bestanden darauf, ihren Vater, wie sie es ihm angeblich gelobt hatten, eigenhändig zu begraben. In ein fast sauberes Leichentuch gehüllt, banden sie den Toten auf ein breites Brett. Illyra nahm das Fußende, Dubro das andere. So kehrten sie zum Basar zurück.
»Bringen wir die Leiche zum Austausch in den Tempel?« fragte Dubro, während sie ihre Stühle zur Seite rückten, um Platz für die behelfsmäßige Bahre zu machen.
Illyra starrte ihn an, ehe ihr klar wurde, daß er die Frage ernst gemeint hatte. »In der Nacht werden rankanischen Priester sich vom Statthalterpalast zu dem Gut begeben, das Landende genannt wird, und dort Marilla abholen. Wir müssen sie aufhalten und Marilla gegen unsere Leiche austauschen, ohne daß sie es gewahr werden.«
Des Schmieds Augen weiteten sich ernüchtert. »’Lyra, das ist anders, als dem blinden Jakob Obst zu stehlen! Das Mädchen lebt, der hier ist tot! Das muß den Priestern auffallen.«
Sie schüttelte den Kopf und klammerte sich verzweifelt an das Bild, das sich während ihres Meditierens ergeben hatte. »Es regnet, dazu ist Neumond und ihre Fackeln werden mehr Rauch als Licht geben. Ich habe dem Mädchen Cylantha überlassen. Sie werden sie tragen müssen, als wäre sie tot.«
»Wird sie das Zeug denn auch wirklich nehmen?«
»Ja!«
Aber so sicher, wie sie zu sein vortäuschte, war Illyra nicht, konnte es gar nicht sein, ehe sie nicht den Zug sahen. So viel stand offen: Hatte Manila das Mittel genommen? War der Zug klein genug, ohne Wächter, und der Last wegen auch langsam? Und würde das Ritual sein, wie sie es im Traum gesehen hatte? Die schreckliche Panik kehrte zurück, die sie empfunden hatte, als der Steinblock sich im Traum auf sie herabsenkte. Das Antlitz des Chaos schob sich höhnisch lachend, riesengroß vor ihr inneres Auge.
»Ja! Sie hat das Cylantha gestern abend genommen«, sagte sie und verdrängte das Antlitz des Chaos mit aller Willenskraft.
»Woher willst du das wissen?« Dubros Stimme klang ungläubig.
»Ich weiß es!«
Beide verstummten, als Illyra die Vorbereitungen zu einem makaberen Mahl traf, das sie auf einem Tisch zu sich nahmen, den sie über ihren toten Gast gestellt hatten.
Die Stunde des nicht erkennbaren Sonnenuntergangs kam, und schließlich hüllte die dunkle, regnerische Nacht Freistatt ein, wie Illyra es vorhergesehen hatte. Der stete Regen erhöhte ihr Selbstvertrauen, während sie ihre Last langsam durch den Basar und das Tor trugen.
Sie hatten einen langen, aber nicht schwierigen Weg außerhalb der Stadtmauer vor sich. Wie Dubro bemerkte, mußten die Dämchen aus der Straße der Roten Laternen diesen Weg jeden Abend nehmen, wenn sie zum Himmlisehen Versprechen wollten. Die Dämchen kicherten hinter ihren Schultertüchern beim Anblick der zwei, die etwas
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