Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
Judith konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie froh war,
für Frido und die häuslichen Probleme nicht erreichbar zu sein. Sie thronte in
ihrem Rollstuhl, den Kiki bei Nachbar Möller ausgeliehen hatte, und bewunderte
ausführlich Steiners technisches Können.
»Sie müssen drei
Stunden eine Geschwindigkeit von 15 bis 20 Stundenkilometern fahren, dann ist das Handy
aufgeladen«, informierte Steiner die ausgepumpte Estelle. »Schneller dürfen Sie
auch nicht werden. Bei über 30 Stundenkilometern zerstört sich das Gerät.«
Estelle trat weiter in
die Pedale.
»Zwei Prozent«, lobte
Caroline. »Du bist auf dem richtigen Weg.«
Die Stromerzeugung in
eigener Herstellung funktionierte nur mäßig.
»Das mit den
regenerativen Energien hört sich in der Theorie wesentlich besser an«,
beschwerte sich Estelle. »Ich weiß nicht, ob ich für grünen Strom geboren bin.«
»Das Gerät ist
eigentlich als Handkurbel konzipiert«, meinte Steiner. »Die Übersetzung
funktioniert nicht so gut.«
Estelle lief langsam rot
an.
Kiki versuchte Estelle
zu trösten: »Für mich brauchst du dich nicht so abzustrampeln. Wir hangeln uns
schon seit Wochen von Rechnung zu Rechnung. Man gewöhnt sich dran.«
»Ich radle aus
eigennützigen Motiven«, empörte sich Estelle. »Ich will mich an so etwas wie
Sabine gar nicht erst gewöhnen.«
Kiki, die ihrem
chronischen Optimismus treu blieb, hielt an der Idee fest, dass sie die
Instandsetzung des Daches womöglich ohne Hilfe von außen stemmen konnte:
»Vielleicht ist die Reparatur gar nicht so teuer.«
Nach dem Dämpfer vom
Vormittag gab sich Kiki hoffnungsfroh, dass sich das Problem lösen lassen
würde. Tatsächlich hatte Schwarzer am Nachmittag einen Gesellen für die
notwendigen Messarbeiten vorbeigeschickt.
»Es muss ja nicht immer
das Schlimmste sein«, sagte Kiki sich vor. Dabei bewiesen ihre bisherigen
Erfahrungen mit der Sandkrugschule das Gegenteil.
Estelle ließ sich
erschöpft vom Rad fallen. »Perfekt«, sagte sie. »Bis man Strom im Apparat hat,
hat man so viel Dampf abgelassen, dass man keine Kraft mehr hat, sich über
irgendetwas aufzuregen.«
»Und bei Ihnen hat es
funktioniert?«, wandte Caroline sich interessiert an Steiner. Sie hätte zu gern
in der Kanzlei angerufen, um ihre Auszubildende Nora auf Steiner anzusetzen.
Ein paar Hintergrundinformationen mussten doch zu bekommen sein.
»Bei meiner Tour durch
die Karibik bin ich auf Rarotonga gestrandet. Da hatte ich perfekten Empfang«,
erzählte Steiner.
Eva nickte.
Caroline war weit
weniger beeindruckt: »Rarotonga gehört zu den Cook-Inseln und liegt im Pazifik«,
korrigierte sie.
Steiner war nicht aus
der Ruhe zu bringen: »Dann werde ich mir die Geschichte ausgedacht haben, und
das Stromgerät ist nagelneu, unbenutzt und ungetestet.«
»Was treiben Sie
eigentlich so, wenn Sie nicht gerade als Abschleppkommando unterwegs sind?«,
versuchte es Eva.
»Beruflich?«, fragte
Steiner nach.
Eva nickte. »Zum
Beispiel.«
Das interessierte alle.
Steiner lehnte sich
entspannt zurück: »Raten Sie!«
Judith ärgerte sich
maßlos. Sie hatte sich auf ein paar schöne Tage mit den Freundinnen gefreut,
und jetzt drehte sich alles um den Gast aus der Fischerhütte. Steiner schaffte
es, alle Aufmerksamkeit und Gespräche auf sich zu lenken. Es ging nur noch um
ihn.
»Vermutlich ist er im
wirklichen Leben Buchhalter«, raunte Judith Estelle zu. »Ich seh so was sofort.
Zu Hause hat der einen Gummibaum und einen Nasenhaarschneider. Und hier macht
er einen auf Abenteurer.«
Caroline hatte wenig
Lust auf heiteres Beruferaten: »Ich bin kein bisschen fantasiebegabt. Ich halte
mich lieber an Fakten«, meinte sie.
»Sie enttäuschen mich,
Frau Seitz«, reagierte Steiner. »Sie bilden sich doch was ein auf Ihre
Menschenkenntnis.«
»Mit Elektronik
verdienen Sie Ihr Geld jedenfalls nicht«, mischte Estelle sich ein.
Statt Steiner
antwortete Eva: »Ich tippe auf etwas, wo man viel draußen sein muss.
Landschaftsgärtner?«
Steiner lachte auf. »Im
Gegenteil.«
»Braumeister,
Architekt, Fliesenleger?«, wagte Eva einen neuen Versuch.
Steiner winkte ab.
»Alles falsch.«
Eva riet sich munter
durchs Alphabet, vom Autoverkäufer bis zum Waffenhändler und Zeitungszusteller.
Ihre Vorschläge wurden immer absurder.
Steiner war amüsiert:
»Ich verstehe ohnehin nicht, warum manche glauben, der Beruf würde einen
Menschen definieren. Man sagt, man ist Arzt, und schon nicken alle. Schublade
auf. Mensch rein.
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