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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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verstehen, was vor sich ging.
    »Hat Steiner Fragen
über Estelle gestellt?«, insistierte Caroline.
    »Du hast sie ja nicht
alle«, meinte Eva.
    Ein entsetzliches Jaulen
störte die Unterredung. Oskar stürmte durch den Garten, dicht gefolgt von
Judith. Seine Leine hing noch um den Hals. Der arme Pudel hatte die Schnauze
weit offen, hechelte und zitterte am ganzen Leib. Sein Fell war verdreckt und
verschmutzt, voller Kletten und kleiner Äste, die Pfoten wund vom schnellen
Laufen. Irgendetwas hatte ihn zu Tode erschreckt.
    »Oskar ist alleine
zurückgekommen«, informierte Judith die Freundinnen. Sie konnte ihre Sorge
nicht verhehlen: »Habt ihr Estelle gesehen? Sie müsste längst von der
Tankstelle zurück sein.«
    Entsetztes Schweigen
breitete sich aus. Und in die Stille plötzlich das Geständnis von Eva: »Herr
Steiner hat sich immer wieder nach Estelle erkundigt«, gab sie kleinlaut zu.
»Und nach den Geschäften, die sie macht.«
    Caroline war wütend:
»Wenn ihr was passiert ist, bist du schuld«, warf sie Eva an den Kopf.

50
    Estelle war den Tränen
nahe. Der Tag hatte so gut begonnen. Sie war von Sonnenstrahlen geweckt worden,
hatte eine warme Dusche genommen und war in ihr bodenlanges Sommerkleid
geschlüpft. Nach dem ganzen Wühlen und Graben in der Erde brauchte sie diesen
Hauch von Luxus. Auch wenn sie nur zur Minol-Tankstelle wollte, um dort Brot zu
holen. Auf hohen Schuhen stolzierte sie mit Oskar an ihrer Seite durchs Dorf,
als wäre die Hauptstraße ein Pariser Laufsteg. Mit Estelle zog ein Hauch von
Glamour in Birkow ein. 150 Meter vor der Minol-Tankstelle passierte es. Vorne
nahm ihr ein Lieferwagen kurzfristig die Sicht. Hinten versperrte ein Wagen den
Fluchtweg. Sie hatte das Unheil nicht kommen sehen. Und dann war es zu spät.
Der Königspudel heulte herzzerreißend auf. Auge in Auge mit dem Feind verstand
Estelle Oskars Panik: Bräsig, groß und dampfend versperrte ihnen ein Stier den
Weg. Dahinter stapfte Nachbar Möller.
    »Das ist der Luis, der
tut nichts«, verkündete der knorrige Bauer voller Überzeugung.
    Luis sah nicht so aus,
als wäre er über seine Harmlosigkeit informiert. Estelle zog Oskar näher an
sich heran und versuchte, ihn an dem Ungetüm vorbeizuzerren. Oskar bellte und
wütete. Luis scharrte mit dem Vorderfuß, als wolle er jeden Moment ausholen.
Der Stier war ein paar Wochen auf einer Weide am anderen Ende des Dorfes
isoliert gehalten worden, um ihn so zu decktechnischen Höchstleistungen zu
animieren. Der überkandidelte Großstadtpudel weckte das Schlechteste in dem
testosterongesteuerten Tier. Geladen senkte Luis Kopf und Hörner und brüllte
aus der Tiefe seines Rachens. Mit einem mächtigen Satz riss Oskar sich los und
jagte in nackter Todesangst davon. Das war vor einer halben Stunde gewesen.
    Seitdem irrte Estelle
barfuß und kopflos auf der Suche nach ihrem Pudel durch das Dorf. Ihre Schuhe
schlenkerten in ihrer Hand. Die Louboutins waren für ihre verzweifelte
Suchaktion denkbar ungeeignet. Von allen Seiten bekam Estelle Tipps von
freundlichen Dorfbewohnern, die Oskar mal hier, mal dort, mal gar nicht gesehen
haben wollten. Eine Gruppe von Bowlingbrüdern aus Schwerin, die ersten
Teilnehmer des Birkow-Cups, wollten beobachtet haben, dass Oskar auf dem Feld
Rehe jagte. Estelle bezweifelte das. Oskar war ein echter Stadthund.
Normalerweise war er lieber auf Asphalt als auf unbefestigten Wegen unterwegs
und ließ sich von anderen Tieren jagen. Sie befürchtete eher, Oskar könnte sich
über die Autobahn auf den Weg Richtung Köln gemacht haben. Rico, auf dem Weg
zur Sandkrugschule, drückte Estelle sein Fahrrad in die Hand. Nicht einmal
Leihgebühr wollte er dafür: »Geht aufs Haus«, versprach er großzügig.
    Estelle knotete den
Saum ihres langen Kleides hoch und schwang sich auf den Drahtesel. So gut das
mit einem Kleid, das eher für gesellschaftliche Ereignisse im festlichen Rahmen
geschaffen war, eben möglich war.
    Energisch trat sie in
die Pedale. Es ging ihr nicht schnell genug. Estelle fühlte sich wie aus der
Zeit gefallen. Sie war der langsamste Verkehrsteilnehmer und der erfolgloseste
noch dazu. Sie hatte kein Auge für die sanft gewellten Weiden, die schönen
Alleen und die blühenden Rapsfelder rund um Birkow. Wenn sie nur Oskar fand.
Ein paar Kilometer außerhalb des Dorfs klingelte ihr Telefon. Estelle wollte
alles, und zwar gleichzeitig. Oskar suchen, das Telefon aus ihrer Tasche
ziehen, telefonieren, lenken, treten. Multitasking mit Handicap.

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