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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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Zettel mit Ricos Kostenvoranschlag unentschlossen in der Hand. Vielleicht
konnte sie die Stunde der Wahrheit noch ein wenig herauszögern.
    »Die Höhe der Summe ist
sowieso egal«, versuchte Kiki einen Witz. »Es spielt keine Rolle, wie viel Geld
ich nicht habe.«
    Sie konnte nur hoffen,
dass Sabine und Estelle sich irgendwie näherkamen.
    »Vielleicht fällt dir
noch was anderes ein, als ihr den Hals umzudrehen?«, ermunterte Kiki Estelle.
Es ging ihr nicht um ihre eigenen Belange. Sie konnte prima
weiterimprovisieren. Sie wollte den Gedanken, die Kölner Kinder zu empfangen,
nicht aufgeben.
    »Was soll ich sonst
tun?«, fragte Estelle. »Aussitzen kommt nicht infrage. Das gewinnt Sabine. Die
ist halb so alt wie ich.«
    Judith versuchte, etwas
Aufmunterndes beizusteuern: »Wer weiß, vielleicht entsteht etwas Gutes aus
dieser Situation. Manchmal muss man einen Umweg gehen, um zum Ziel zu kommen.
Dreimal links ist auch rechts.«
    »Ich will nicht um die
Ecke gebracht werden«, wütete Estelle weiter. »Von niemandem. Weder links noch
rechts.«
    Judith begriff, dass
hier keine relativierenden Worte gefragt waren. Vielleicht konnte sie besser
mit den Freundinnen reden, wenn die Dampf abgelassen hatten. Dass Kiki zu ihrem
Dienst in die Tankstelle musste, gab ihr einen willkommenen Vorwand zu
flüchten.
    »Ich nehme dir die
Schicht ab«, erklärte sie Kiki in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. »Du
hast hier genug zu tun.«

54
    In der Minol-Tankstelle
herrschte reges Treiben. Kiki hatte ganze Arbeit geleistet und das halbe Dorf
aufgescheucht. Die Gerüchteküche brodelte. Die Damen aus der Stadt beflügelten
die Fantasie der Birkower. Von einem entführten Rassehund war die Rede, von
Erpressung und kriminellen Machenschaften. Judiths Kommen wurde begeistert
aufgenommen. Alle wollten en détail hören, wie Judith es durch reine Intuition
geschafft hatte, das Fahrrad zu finden. Der Fall Estelle brachte die neuen und
alten Bewohner von Birkow näher zusammen. Niemand gab zu, dass es pure
Sensationsgier war, die sie in die Tankstelle führte. Also kauften selbst die
Altbirkower im Genossenschaftsladen ein oder genehmigten sich ein Getränk.
Selbst Peggy war vor Ort. Vorgeblich, um sich zu erkundigen, ob sie in der
Tankstelle nicht auch den Eierlikör anbieten könnte, für den ihre Familie
bekannt war. Angesetzt mit Kondensmilch und Prima-Sprit, dem Original 96   prozentigen unvergällten Neutralalkohol aus dem
Erzgebirge.
    »Mein Eierlikör«, so
versprach sie, »schmeckt noch genau wie zu DDR -Zeiten.«
    Und weil sie schon mal
da war, bestellte sie einen Kaffee und animierte so ganz nebenbei die
Dorfbewohner dazu, sich von Judith die Karten legen zu lassen. Die Wahrsagerei
am Kaffeehaustisch boomte.
    Die alte Frau Möller
vom Bauernhof neben der Sandkrugschule, die die Ausstrahlung einer
eingetrockneten Quitte hatte, bestand darauf, als Erste dranzukommen. Sie hatte
ebenfalls einen Vermisstenfall zu beklagen: »Mein Mann ist verschwunden«, sagte
sie mit vorwurfsvoller Stimme.
    Judith begriff nicht:
»Ich habe ihn eben noch auf dem Hof gesehen, als ich hierherkam.«
    Frau Möller klagte
weiter: »Den mürrischen Alten meine ich nicht. Ich will wissen, wo der Junge
hin ist, der versprochen hat, immer für mich da zu sein.«
    Judith legte die
Karten. Die Antwort war klar: »Der ist auf die Suche nach dem fröhlichen
Mädchen mit den Zöpfen gegangen, das mit ihm vor dem Traualtar stand.«
    Selbstbewusst zeigte
Judith, wie weit die Karten, die für Mann und Frau standen, in dem Legemuster
voneinander getrennt waren. Darüber hinaus hatte Judith keine Ahnung, was das
Blatt zu bedeuten hatte. Sie schaffte es einfach nicht, sich alle Kombinationen
und Möglichkeiten zu merken.
    »Ihr Mann wartet auf
ein Zeichen von Ihnen«, versuchte Judith eine allgemeingültige Interpretation
und tippte erst die Karte »Nº15. Guter Ausgang in der Liebe« und dann auf
»Nº17. Geschenk bekom̄en«.
    Sechs Personen standen
um sie herum und beobachteten mit kritischen Augen, was sie trieb. Judith
geriet ins Schwitzen. Dabei war es ganz einfach. Ihre Klienten einte die
Hoffnung auf zukünftiges Glück und bessere Zeiten. Wer war sie, den Menschen
ihre Träume zu nehmen und sie mit schlechten Nachrichten zu belasten? Ganz im
Sinne von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen konnte man das Schicksal
zwingen, sich freundlich zu zeigen.
    Fragen stellen, sagte
Judith sich vor. Einfach Fragen stellen, um nach zusätzlichen Informationen

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