Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
festgehalten hatten.
In einem Blog, der ausschließlich dem Vogelbestand im Müritz-Nationalpark
gewidmet war, wurde sie fündig. »Wo ist die Brutstelle?«, lautete die
Überschrift eines Beitrags im Forum. Darunter der Beitrag einer
Vogelbegeisterten, die behauptete, einen Sperlingskauz vernommen zu haben. Die
kleinste Eulenart, so las Caroline, stand auf der Liste der bedrohten Vögel und
lief Gefahr, bald nur noch in Büchern vorhanden zu sein. Eine Sichtung im
Nationalpark käme einer kleinen Sensation gleich. Der Sperlingskauz konnte
hochfrequente Töne orten und war ein meisterhafter Jäger. Der Zwerg unter den
Eulenvögeln war nur so groß wie ein Star, griff jedoch Vögel derselben Größe
an. Sein tiefer, monotoner Ruf war über einen Kilometer weit hörbar und von
verschiedenen Zeugen wahrgenommen worden. Es war eine Herausforderung der
besonderen Art für jeden Ornithologen, die Rufe zu orten und den Nistplatz des
seltenen Vogels zu finden.
Caroline beugte sich
ein zweites Mal über die Karte, malte einen Kreis von circa einem Kilometer um
all die Orte, an denen das Käuzchen wahrgenommen worden war, und schloss
daraus, welche Straße Steiner genommen haben könnte. Ihre Kombinationsgabe ließ
sie nicht im Stich. Zwanzig Minuten später entdeckte sie gute drei Kilometer
hinter dem Ortsausgang Ricos Fahrrad. Im Straßengraben. In der Fahrradkette
hing ein Fetzen Stoff von Estelles Kleid, der mit einem scharfen Gegenstand
fein säuberlich abgetrennt worden war.
»Das ist kein gutes
Zeichen«, sagte eine Stimme in ihrem Rücken. »Wer hat denn eine Schere in der
Wildnis?«
Caroline fuhr herum.
Die Stimme gehörte Judith, die kurz nach ihr am Fundort eingetroffen war. Im
Wettlauf zwischen Intuition und Logik stand es eins zu eins. Judith war
offensichtlich erleichtert, sich nicht alleine der unheimlichen Situation
stellen zu müssen. Die Angst ließ sie den morgendlichen Streit vergessen.
»Vielleicht habe ich
mich geirrt, und die Szene an der Wolfswiese war nur ein matter Vorbote von
dem, was noch auf uns zukommt«, überlegte sie.
Judith hatte in einer
Parkbucht ein Stück weiter das Auto von Steiner entdeckt. Ratlos sahen die
Freundinnen sich um. Links führte ein Weg in den Wald, zu ihrer Rechten lag
eine sumpfige Wiese, dahinter ein Schilfgürtel, der auf einen weiteren See
schließen ließ. Am vermeintlichen Seerand lugte ein hölzerner Beobachtungsstand
über dem dicken Schilf hervor. Waren Steiner und Estelle dorthin gegangen? Was
erwartete sie, wenn sie dem Trampelpfad folgten? Judith traute sich nicht
weiter. »Ich bin keine Heldin. Ich bin nicht so dumm wie diese Schnepfen aus
den Horrorfilmen, die sich freiwillig mit Psychopathen anlegen.«
Sie ließ Caroline den
Vortritt und folgte im sicheren Abstand von ein paar Metern. Im Wirrwarr der
Schilfstängel suchten die beiden Frauen einen sicheren Pfad auf dem feuchten
Untergrund. Bei jedem Schritt schmatzte der Boden genüsslich, als wolle er sie
verschlingen. Caroline ruinierte gerade das zweite Paar Schuhe, Judith war
schlauer gewesen und trug ihre Gummistiefel. Vorsichtig bogen sie mit den
Händen das mannshohe Schilf auseinander. Eine Ente, die im Gestrüpp nistete,
flog panisch auf. Das arme Federvieh war genauso erschrocken wie die beiden
Frauen. Der Weg war beschwerlich. Das Schilf schnitt den Freundinnen in die
Hände, Mücken stachen in alle unbedeckten Körperteile, ihre Füße sackten bis an
die Knöchel in den kühlen Morast. Caroline konnte nur hoffen, dass sie nicht
auf dem besten Weg waren, im Moor zu versinken. Je weiter sie sich von der
Straße entfernten, desto deutlicher schälte sich aus dem Geräusch des Windes,
der mit dem Schilf spielte, der Klang zweier Stimmen heraus.
»Das sind sie, oder?«,
fragte Judith panisch.
»Estelle«, rief
Caroline, »bist du hier?«
Vorsichtig traten sie
näher. Besonders bedrohlich wirkte die Situation nicht. Eher idyllisch. Steiner
und Estelle saßen in trauter Zweisamkeit am Ufer und starrten gedankenverloren
auf den See. Nur ein paar Meter weiter wäre ein Holzsteg gewesen, der Caroline
und Judith trockenen Fußes Richtung Ufer geleitet hätte.
Estelle drehte sich um.
»Manchmal ist es gut zu verschwinden«, sagte sie, als sie die Freundinnen
entdeckte. »Man stellt fest, wer einem hinterherläuft.« Kein Lächeln kam über
ihre Lippen. Die Situation war offenbar ernst.
Caroline blickte
besorgt zwischen Steiner und Estelle hin und her. »Wir dachten, dir wäre etwas
zugestoßen«,
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