Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
gegenüber diese Schwierigkeiten. Die Maschine funktioniert nicht mehr präzise?«
» Ordinateurs sind, gedankt sei dem guten Gott, nicht meine Spezialität. Die Napoleon arbeitet in den meisten Fällen mit ihrer gewohnten Geschwindigkeit und Präzision, wie ich hörte, aber ein schwierig zu ortendes Element von Unbeständigkeit spukt gegenwärtig in den höheren Funktionen der Maschine …« Arslau seufzte. »Da diese höheren Funktionen als eine Angelegenheit von beträchtlichem nationalen Stolz angesehen werden, bin ich gezwungen gewesen, große Mengen der abstrusesten technischen Prosa im Kaiserreich zu studieren. Letzten Endes ohne Erfolg, wie es jetzt scheint, da wir den Schuldigen gefunden haben.«
»Den Schuldigen?«
»Ein erklärtes Mitglied der Fils de Vaucanson. Sein Name ist ohne Bedeutung. Er wurde in Lyon im Zusammenhang mit einem gewöhnlichen Betrugsfall festgenommen, in den ein städtischer Ordinateur verwickelt war. Einzelheiten seines Ge ständnisses machten die Geheimpolizei auf ihn aufmerksam, und durch sie erfuhren wir davon. Während seiner Vernehmungen bekannte er seine Verantwortlichkeit für den gegenwärtigen beklagenswerten Zustand unserer Großen Napoleon.«
»Dann gestand er Sabotage?«
»Nein. Das zu gestehen verweigerte er bis zuletzt. Im Hinblick auf die Napoleon gab er nur zu, eine bestimmte Sequenz von Lochkarten eingeschleust zu haben, eine mathematische Formel.«
Oliphant betrachtete die Rauchspirale seiner Zigarre, wie sie zur Stuckrosette der hohen Decke emporstieg.
»Die Formel kam aus London«, fuhr Arslau fort. »Er erwarb sie von einer Engländerin. Ihr Name war Sybil Gerard.«
»Haben Sie eine Analyse dieser Formel vorgenommen?«
»Nein. Sie wurde gestohlen, behauptete unser Jacquardiner, hinweggezaubert von einer Frau, die er als Flora Bartelle kannte, anscheinend eine Amerikanerin.«
»Ich verstehe.«
»Dann sagen Sie mir, was Sie sehen, mein Freund, denn ich selbst tappe sehr im Dunkeln.«
Das Auge. Das alles sehende, erhabene Gewicht seiner Wahrnehmung drückte aus jeder Richtung auf ihn.
Oliphant zögerte. Asche von seiner Zigarre fiel unbemerkt auf Arslaus dicken Teppich. »Ich muss Sybil Gerard erst noch treffen«, sagte er, »aber ich könnte Ihnen vielleicht Information über diese Formel bieten, die Sie erwähnten. Es könnte sogar möglich sein, eine Kopie zu erlangen. Ich kann jedoch nichts versprechen, bis mir erlaubt ist, die fragliche Dame ausführlich und unter vier Augen zu sprechen.«
Arslau schwieg eine Weile. Er schien durch Oliphant hindurchzublicken. Schließlich nickte er. »Wir können das arrangieren.«
»Sie ist, nehme ich an, nicht in Gewahrsam?«
»Sagen wir, dass wir über ihre Bewegungen unterrichtet sind.«
»Sie lassen ihr Freiheit, halten sie aber unter Beobachtung?«
»Genau das. Wenn wir sie jetzt festnehmen, und sie enthüllt nichts, wird die Fährte kalt.«
»Ihre Technik, Lucien, ist wie immer makellos. Und wann könnte meine Begegnung mit ihr stattfinden?«
Das Auge, der Druck, das Pochen seines Herzens.
»Heute Abend, wenn Sie es wünschen«, sagte Monsieur Arslau von der Police des Châteaux und rückte an seiner goldbestickten Krawatte.
Die Wände des Café de l’Univers waren mit Gemälden, geätzten Spiegeln und emaillierten Tafeln behängt, welche das allgegenwärtige Erzeugnis von Pernod Fils annoncierten. Die Bilder, wenn man sie denn so nennen konnte, waren entweder groteske Klecksereien oder absonderliche geometrische Formgebungen, welche die rastlose Bewegung der Kinotrop-Stückchen suggerierten. In einigen Fällen, mutmaßte Oliphant, waren die Maler selbst anwesend – oder zumindest solche, die er für Maler hielt: langhaarige Burschen mit Baskenmützen aus Samt, die Cordhosen beschmiert mit Farbpig menten und Zigarettenasche. Aber die Mehrzahl der Gäste bestand – nach seinem Gefährten, einem gewissen Jean Beraud – aus kinotropistes. Diese Herren des Quartier Latin saßen und tranken mit ihren schwarz gekleideten grisettes an den runden Marmortischen oder diskutierten in kleinen Gruppen über theoretische Fragen.
Beraud, in einem der Jahreszeit nicht angemessenen steifen Strohhut und einem braunen Anzug von betont gallischem Schnitt, war einer von Arslaus mouchards , ein professioneller Informant, für den die kinotropistes allesamt » le milieu« verkörperten. Er war frisch und rosig wie ein Ferkel, trank Vittel und Pfefferminzlikör; Oliphant hatte von Anfang an eine Abneigung gegen ihn
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