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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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von Ginblumen unter einer Patina von Schmutz.
    »Nein«, sagte sie, »das ist nicht meine Tragödie.«
    »Mein Roger war es«, sagte sie, »und mein Tommy. Und nichts haben sie mir geschickt, Herr – nicht einen Fetzen, Herr … nicht einen verdammten Lappen …«
    Er gab ihr eine Münze. Sie dankte ihm murmelnd und zog sich zurück.
    Es war Zeit, eine Droschke zu suchen.
    In der dämmrigen hohen Höhlung der großen Bahnhofshalle vermischten sich Tausende von Stimmen, sodass die Bestandteile ihrer Sprache zu einem homogenen und undurchdringlichen Summen zusammenflossen.
    Unten ging Oliphant in gemessenem und wohlüberlegtem Schritt seinen Geschäften nach, erstand eine Eisenbahnfahrkarte erster Klasse nach Dover und ließ sich einen Platz für den Abendexpress reservieren. Der Fahrkartenverkäufer legte Oliphants Nationale Kreditkarte in die Maschine und zog energisch am Hebel.
    »Bitte sehr, Sir. Auf Ihren Namen reserviert.«
    Oliphant bedankte sich und ging zu einem zweiten Schalter, wo er erneut seine Kreditkarte vorlegte. »Ich möchte eine Kabine auf dem Postdampfer morgen früh nach Ostende buchen.« Dann, als er die Fahrkarten und seine Nationale Kreditkarte in seine Brieftasche steckte, verlangte er, als wäre es ein nachträglicher Einfall, ein Billett zweiter Klasse für die Mitternachtsfähre nach Calais.
    »Soll das für heute Nacht sein, Sir?«
    »Ja.«
    »Das ist dann die Bessemer , Sir. Auf die Nationale Kreditkarte, Sir?«
    Oliphant verneinte und bezahlte das Billett nach Calais mit einer Pfundnote aus Mr. Beadons Safe.
    Zehn vor neun, nach der goldenen Doppelkapseluhr seines Vaters.
    Um neun Uhr bestieg er den anfahrenden Zug im allerletzten Augenblick und bezahlte den Fahrpreis erster Klasse nach Dover direkt beim Zugschaffner.
    Die Bessemer , eine Doppeldeckerfähre mit beweglich aufgehängtem Gesellschaftssaal, legte pünktlich um Mitternacht vom gischtübersprühten Kai in Dover ab. Nachdem Oliphant mit seinem Billett zweiter Klasse und seinen Pfundnoten den Bordzahlmeister aufgesucht hatte, setzte er sich im Gesellschaftssaal in einen brokatbezogenen Sessel, trank ziemlich mittelmäßigen Brandy und nahm seine Mitpassagiere in Augenschein. Sie waren, wie er mit Befriedigung vermerkte, ein absolut durchschnittliches Publikum.
    Er hatte eine Abneigung gegen beweglich aufgehängte Ge sellschaftssäle, weil er die maschinell gesteuerten Bewegungen, die das Schlingern und Stampfen des Schiffes ausgleichen sollten, störender fand als die gewöhnlichen Bewegungen eines Schiffes auf See. Hinzu kam, dass der Gesellschaftssaal fensterlos war. Kardanisch aufgehängt in einem zentralen Schacht, befand sich der Gesellschaftssaal so tief im Rumpf, dass normal angebrachte Fenster in Meeresspiegelhöhe gewesen wären. Alles in allem fand Oliphant den Aufwand, auf diese Weise Abhilfe gegen die Seekrankheit zu schaffen, übertrieben. Die übrigen Fahrgäste waren jedoch fasziniert von der neuartigen Technik einer kleinen Ausgleichsmaschine, deren einzige Aufgabe darin bestand, den Saal so waagerecht wie möglich zu halten. Dies wurde durch ein Verfahren bewerkstelligt, das von der Presse im Locherjargon als »Rückkopplung« bezeichnet wurde. Mit ihren zwei Schaufelrädern vorn und achtern legte die Bessemer die Strecke zwischen Dover und Calais bei normalen Wetterverhältnissen in einer Stunde und dreißig Minuten zurück.
    Lieber wäre er jetzt an Deck gewesen und hätte sich den Wind ins Gesicht wehen lassen; dann hätte er sich vielleicht vorstellen können, einem größeren, erreichbareren Ziel entgegenzudampfen. Aber die Fähren mit beweglich aufgehängtem Gesellschaftssaal hatten aus technischen Gründen nur ein öffentlich zugängliches Oberdeck, das nicht überdacht war, und der Wind über dem Kanal war feucht und kalt. Überdies hatte er gegenwärtig nur das eine Ziel, und seine Bemühungen konnten sich leicht als vergeblich erweisen.
    Immerhin: Sybil Gerard. Nachdem er ihr Telegramm an Egremont gelesen hatte, war er nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss gekommen, dass es unklug sei, ihre Nummer anwählen und ihre Akte heraussuchen zu lassen. Das konnte unerwünschte Aufmerksamkeit erregen; und seit die Abteilung Kriminalanthropometrie im Zentralamt für Statistik zu bestimmendem Einfluss gelangt war, hatten seine Bedenken sich als berechtigt erwiesen. Des Weiteren argwöhnte er, dass Sybil Gerards Akte nicht mehr existierte.
    Walter Gerard aus Manchester, eingeschworener Feind des

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