Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Fortschritts, Agitator für die Menschenrechte. Tod durch den Strang. Und wenn Walter Gerard eine Tochter gehabt hatte, was mochte aus ihr geworden sein? Und wenn sie, wie sie behauptete, von Charles Egremont ruiniert worden war …?
Oliphants Rücken begann zu schmerzen. Unter dem steifen Brokatbezug, dessen Jacquardgewebe wiederholte Abbildungen der Bessemer zeigte, war die Rosshaarpolsterung hart und kühl.
Doch wenn die Reise auch weiter nichts erbrachte, sagte er sich, war er wenigstens zeitweilig der weichen schwarzen Grube von Dr. McNeiles Schweizer Patentbadewanne entgangen.
Er stellte sein Brandyglas ungeleert beiseite, schloss die Augen und nickte ein.
Und träumte vielleicht vom Auge.
Die Bessemer legte um ein Uhr dreißig in Calais an.
Lucien Arslaus Wohnung lag in Passy. Zur Mittagszeit überreichte Oliphant seine Visitenkarte dem Concierge, der sie durch Rohrpost zu Monsieur Arslaus Wohnung übermittelte. Schon Augenblicke später kamen zwei Pieptöne aus der Pfeife, die an einem vernickelten Sprachrohr festgemacht war; der Concierge neigte sein Ohr an den Trichter, und Oliphant vernahm schwaches Rufen auf Französisch.
Der Concierge geleitete Oliphant zum Aufzug.
Im fünften Stock wurde er von einem livrierten Diener eingelassen, der eine Leibbinde aus gros de Naples trug, in welcher ein verziertes korsisches Stilett steckte. Der junge Mann brachte eine Verbeugung fertig, ohne den Blick von Oliphant zu wenden. Monsieur Arslau bedaure, sagte der Diener, dass er im Augenblick außerstande sei, Monsieur Oliphant zu empfangen; ob Monsieur Oliphant inzwischen eine Erfrischung wünsche?
Oliphant erklärte, dass er eine Gelegenheit zu baden sehr zu schätzen wüsste. Auch ein Kännchen Kaffee würde er sehr angenehm finden.
Er wurde durch einen geräumigen Salon geführt, reich an Satin und Goldbronze, Schränken und Kommoden mit feiner Einlegearbeit, Statuetten und Porzellan, wo der reptilienäugige Kaiser und seine zierliche Gemahlin, die frühere Miss Howard, aus einem Doppelporträt in Öl blickten. Und dann durch ein Frühstückszimmer, dessen Wände mit Kupferstichen geschmückt waren, in ein achteckiges Ankleidezimmer.
Gut zwei Stunden später, nachdem er in einer marmorumrandeten Wanne von erfreulicher Solidität gebadet, starken französischen Kaffee getrunken und Koteletts à la Maintenon gegessen hatte und mit einem übermäßig gestärkten Hemd seines Gastgebers ausgestattet war, wurde er in Arslaus Arbeitszimmer geführt.
»Mr. Oliphant, Sir«, sagte Arslau in seinem ausgezeichneten Englisch, »es ist mir eine große Freude. Ich bedaure, dass es mir nicht möglich gewesen ist, Sie früher zu empfangen, aber …« Er machte eine Handbewegung zu seinem breiten Mahagonischreibtisch, der mit Akten und Papieren übersät war. Hinter einer geschlossenen Tür klapperte ein Telegraf. An einer Wand hing eine gerahmte Radierung von der gewaltigen Maschine, dem Großen Napoleon, deren mächtige Getriebetürme hinter einem Gitterwerk aus Glas und Eisen aufragten.
»Keineswegs, Lucien. Ich bin dankbar, dass ich die Zeit hatte, Ihre Gastfreundschaft zu nutzen. Ihr Koch hat eine außerordentliche Gabe, mit Hammelfleisch umzugehen; ein so verfeinertes Fleisch kann kaum an einem gewöhnlichen Schaf gewachsen sein.«
Arslau lächelte. Etwa von Oliphants Größe, mit breiteren Schultern, war er zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt und trug seinen ergrauenden Bart auf kaiserliche Art geschnitten. Seine Krawatte war mit kleinen goldenen Bienen bestickt. »Ich habe Ihren Brief natürlich erhalten.« Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich in einen Lehnstuhl mit dunkelgrüner Lederpolsterung. Oliphant nahm ihm gegenüber in einem Sessel Platz. »Ich muss zugeben, dass ich neugierig bin, Laurence, was Ihre gegenwärtige Nachforschung betrifft.« Arslau legte die Fingerspitzen zusammen und blickte mit hochgezogenen Brauen über sie hinweg. »Die Natur Ihres Ersuchens scheint kaum die Sicherheitsvorkehrungen zu rechtfertigen, die Sie für notwendig erachten …«
»Im Gegenteil, Lucien, Sie müssen wissen, dass ich unsere Bekanntschaft nicht in dieser Weise ausbeuten würde, wenn ich nicht die triftigsten Gründe dafür hätte.«
»Aber nein, mein Freund«, sagte Arslau mit einer abwinkenden kleinen Handbewegung, »Sie haben nur um eine selbstverständliche kleine Gefälligkeit gebeten. Unter Kollegen, Männern wie uns, ist es nichts. Ich bin einfach neugierig; das ist eines meiner
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