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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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daguerreotypierte Miniatur eines stattlichen jungen Mannes. »Aristide. Er fiel bei Philadelphia, in dem furchtbaren Inferno. Hatte sich freiwillig gemeldet, um auf der Seite der Union zu kämpfen. Er war wirklich, wissen Sie; ich meine, er existierte tatsächlich und war nicht bloß eine fingierte Persönlichkeit, wie sie von den Lochern gemacht werden …« Sie betrachtete das kleine Bild mit einem Ausdruck von Sehnsucht und Trauer, doch begriff Oliphant, dass sie Aristide Tournachon zu seinen Lebzeiten wahrscheinlich nie gesehen hatte.
    »Es war eine Vernunftheirat, nehme ich an.«
    »Ja. Und Sie sind gekommen, mich zurückzubringen.«
    »Keineswegs, Mrs. … Tournachon.«
    »Ich glaube Ihnen nicht.«
    »Sie müssen. Sehr viel hängt davon ab, nicht zuletzt Ihre eigene Sicherheit. Seit Sie London verließen, ist Charles Egremont ein sehr mächtiger, ein sehr gefährlicher Mann ge worden. So gefährlich für das Wohlbefinden Großbritanniens, wie er unzweifelhaft auch für Sie gefährlich ist.«
    »Charles? Gefährlich?« Sie schien auf einmal erheitert. »Sie wollen mich zum Besten haben.«
    »Ich brauche Ihre Hilfe. Dringend. So dringend, wie Sie die meinige brauchen.«
    »Tue ich das?«
    »Egremont verfügt über große Machtmittel, Regierungsorgane, die leicht imstande sind, Sie hier zu erreichen.«
    »Sie meinen die Sonderabteilung und diese Leute?«
    »Damit nicht genug, muss ich Sie informieren, dass Ihre Aktivitäten sogar in diesem Augenblick von mindestens einem Geheimagenten des französischen Polizeiministers überwacht werden …«
    »Weil Théophile mir geholfen hat?«
    »Das scheint in der Tat der Fall zu sein.«
    Sie trank den Rest der übel aussehenden Mischung in ihrem Glas. »Lieber Théophile. Was war er für ein lieber, einfältiger Kerl! Immer in seiner roten Weste, und ein ungemein raffinierter Locher. Ich gab ihm Mick Radleys Lochkartenserie, und er war furchtbar nett zu mir. Machte mir eine Heiratsurkunde und eine französische Bürger-Nummer rat-tat-tat . Dann, eines Nachmittags, ich sollte ihn hier treffen …«
    »Ja?«
    »Er kam nicht.« Sie schlug den Blick nieder. »Er pflegte damit zu prahlen, dass er einen ›Glücksspiel-Modus‹ gefunden habe. Das behaupten sie alle, aber er redete so, als sei es ihm ernst damit. Jemand mochte ihm geglaubt haben. Es war töricht von ihm …«
    »Sprach er jemals mit Ihnen über sein Interesse an der Maschine, die als Großer Napoleon bekannt ist?«
    »Ihr Ungeheuer, meinen Sie? Die Pariser Locher reden kaum von etwas anderem, Sir! Sie sind verrückt nach dem Ding!«
    »Die französischen Behörden glauben, Théophile Gautier habe den Großen Napoleon mit Radleys Karten beschädigt.«
    »Ist er also tot, Théo?«
    Oliphant zögerte. »Leider ja, fürchte ich.«
    »Das ist so bösartig und grausam«, sagte sie, »einen Mann hinwegzuzaubern wie ein Kaninchen auf der Bühne, und diejenigen, die ihm nahestanden, in Ungewissheit zu lassen, allein mit ihren Sorgen und ihrem Kummer und ihrer Unruhe! Es ist abscheulich!«
    Oliphant konnte ihrem Blick nicht begegnen.
    »Solche Dinge geschehen in Paris«, sagte sie. »Wenn ich daran denke, worüber die Locher manchmal scherzen … Und London, sagen sie, ist nicht besser, nicht für die, die Bescheid wissen. Wissen Sie, dass es hier heißt, die Radikalen hätten Wellington ermordet? Sie sagen, die Erdarbeiter, die mit der Radikalen Partei unter einer Decke steckten, hätten einen Stollen unter das Restaurant gegraben, und der Anführer der Erdarbeiter selbst habe das Pulver festgestampft und die Lunte gelegt … Dann schoben die Radikalen die Schuld Männern wie …«
    »Ihrem Vater in die Schuhe. Ja. Ich weiß.«
    »Und Sie wissen das und verlangen von mir, dass ich Ihnen vertraue?« Trotz war in ihren Augen, und vielleicht ein lange begrabener Stolz.
    »Weil ich weiß, dass Charles Egremont Ihren Vater, Walter Gerard, betrog und seine Vernichtung herbeiführte; dass er auch Sie betrog und in den Augen der Gesellschaft ruinierte, muss ich Sie um Ihr Vertrauen bitten. Im Austausch biete ich Ihnen die vollständige und praktisch sofortige Zerstörung der politischen Karriere dieses Mannes.«
    Wieder schlug sie den Blick nieder und schien zu überlegen. »Könnten Sie das wirklich tun?« fragte sie.
    »Ihr Zeugnis allein wird ausreichen. Ich werde bloß das Instrument seiner Weitergabe sein.«
    »Nein«, sagte sie schließlich. »Wenn ich ihn öffentlich anklagen müsste, dann würde ich mich selbst ebenfalls

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