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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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sei. Vielleicht würde das Angebot einer alternativen Beschäftigung den Wagemut des Mannes in seiner Amtstätigkeit verstärken, denn es gab dort vieles, was Mallory einzusehen sich wünschte. Die Personalakte über Lady Ada, zum Beispiel, falls solch ein Gegenstand existierte. Oder über den aalglatten Mr. Oliphant mit seinem wohlfeilen Lächeln und seinen letztlich unverbindlichen Zusicherungen. Oder über Lord Charles Lyell, den ordensschweren gelehrten Kopf der Uniformitarier.
    Diese drei Größen waren wahrscheinlich ein gutes Stück außerhalb seiner Reichweite, dachte Mallory. Aber er könnte Datenmaterial über Peter Foulke ausfindig machen, diesen Finsterling, dessen Spinnennetz heimlicher Intrigen immer offenkundiger wurde.
    Er würde es alles ausfechten, auf welche Weise auch immer; Mallory war sich dessen ganz sicher, als er seine Post durchsah. Die ganze finstere Verschwörung würde allmählich ans Tageslicht kommen, wie Knochen, die mit Hammer und Meißel aus ihrer Einbettung im Schieferton herausgelöst wurden. Er hatte einen flüchtigen Blick auf die Skelette im Schrank der Elite getan. Jetzt würde er, wenn ihm Zeit und Gelegenheit zur Arbeit blieb, das ganze Geheimnis aus seiner steinernen Matrize reißen.
    Seine Aufmerksamkeit wurde auf ein höchst ungewöhnliches Päckchen gelenkt. Es war nicht von den üblichen Abmessungen, ziemlich kurz und würfelförmig, und trug einen farbenfrohen Satz französischer Eilmarken. Das elfen beingelbe Packpapier, erstaunlich glatt und steif, bestand aus einer ganz ungewöhnlichen wasserdichten Substanz. Mallory zog sein Klappmesser aus der Tasche, wählte die kleinste unter mehreren Klingen und öffnete das Päckchen.
    Es enthielt eine einzige französische Lochkarte in der fran zösischen Normgröße. Zunehmend beunruhigt schüttelte Mal lory die Karte aus der Umhüllung auf die Tischplatte. Dies war mit einiger Schwierigkeit verbunden, denn das glatte Innere des Einwickelpapiers war merkwürdig feucht. Es war mit einer chemischen Flüssigkeit betaut, die in dem Maße, wie sie der Luft ausgesetzt war, einen zunehmend virulenten Gestank verströmte.
    Die Karte, eine Leerkarte ohne Lochung, trug einen sauber aufgesetzten Textblock in winziger schwarzer Schrift, durchweg in Großbuchstaben:

AN DR. EDWARD MALLORY, PALAST DER PALÄONTOLOGIE, LONDON: SIE SIND IM SCHULDHAFTEN BESITZ EINES IN EPSOM GESTOHLENEN EIGENTUMS. SIE WERDEN UNS DIESES EIGENTUM UNVERSEHRT UND VOLLSTÄNDIG ZURÜCKGEBEN, INDEM SIE DEN ANWEISUNGEN FOLGEN, DIE IHNEN IN DEN SPALTEN PERSÖNLICHE NOTIZEN DES LONDONER DAILY EXPRESS GEGEBEN WERDEN. BIS WIR DIESES EIGENTUM ERHALTEN, WERDEN SIE EINE ANZAHL WOHLÜBERLEGTER BESTRAFUNGEN ERLEIDEN, DIE, WENN NÖTIG, IN IHRER GÄNZLICHEN UND VÖLLIGEN VERNICHTUNG GIPFELN WERDEN. EDWARD MALLORY: WIR KENNEN IHRE NUMMER, IHRE IDENTITÄT, IHRE GESCHICHTE UND IHREN EHRGEIZ: WIR SIND IN VOLLER KENNTNIS JEDER IHRER SCHWÄCHEN. WIDERSTAND IST ZWECKLOS; RASCHE UND VOLLSTÄNDIGE UNTERWERFUNG IST IHRE EINZIGE HOFFNUNG. KAPITÄN SWING
    Mallory saß in stummer Verblüffung da. Eine Erinnerung brach sich in ihm Bahn, stürzte sich in lebhafter Frische auf ihn, als sei es gestern gewesen …
    … Wieder in Wyoming, ein Morgen, als er von seinem Feldbett aufgestanden war und eine Klapperschlange gefunden hatte, die in seiner Körperwärme zusammengerollt schlief. In den Tiefen seines Schlafes hatte er die Bewegungen der Schlange unter seinem Rücken gefühlt, sie jedoch im Halbschlaf ignoriert. Hier war nun der schuppige Beweis.
    Er nahm die Karte und untersuchte sie eingehender. Mit Kampfer gesättigte Zellulose, benetzt mit einer Flüssigkeit, die einen stechenden Geruch verbreitete – und die winzigen schwarzen Buchstaben begannen zu verblassen. Die flexible Karte wurde in seinen Fingern heiß. Er ließ sie sofort fallen, unterdrückte einen überraschten Ausruf. Die Karte lag auf der Tischplatte, krümmte sich, begann, Schichten abzuschuppen, die dünner waren als die feinste Zwiebelhaut, während sie an den Rändern bräunliche Verfärbungen zeigte. Dünner gelblicher Rauch begann aufzusteigen, und Mallory begriff, dass das Ding jeden Augenblick in Flammen aufgehen konnte.
    Er griff hastig in den Flechtkorb, zog die neueste dicke Nummer der Vierteljahresschrift der Geologischen Gesellschaft heraus und schlug damit auf die Karte. Nach zwei Schlägen löste sie sich in rauchende Stückchen auf, die sich mit dem blasenziehenden Lack der Tischplatte zu verbinden

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