Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
ist es, Kelly?«
»Neun Uhr, Sir.« Kelly kam herein, saugte an seinen gel ben Zähnen. Die Frauen folgten ihm mit ihrem Karren. Papier etiketten verrieten den Inhalt der Keramikflaschen: Condys Patent-Sauerstoff-Desinfektionsmittel.
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Mangansaures Natron, Sir, für die Wasserleitungen. Wir wollen jede Toilette durchspülen, die Rohre reinigen bis hinunter zum Abwasserkanal.«
Mallory brachte seinen Morgenmantel in Ordnung. Es war ihm peinlich, mit bloßen Füßen und Knöcheln vor den Putzfrauen zu erscheinen. »Kelly, es wird kein bisschen nützen, wenn Sie die Rohre durchspülen und desinfizieren. Wir sind mitten in London, in einem elend heißen Sommer. Sogar die Themse stinkt.«
»Muss etwas machen, Sir«, sagte Kelly. »Unsere Gäste beschweren sich, sehr energisch. Kann es ihnen nicht verdenken, Sir.«
Die Frauen schütteten mittels eines Trichters die Lösung aus einer Keramikflasche in die Schüssel von Mallorys Wasserklosett. Das Desinfektionsmittel verbreitete einen durchdringenden Gestank nach Ammoniak, in seiner eigenen Art weitaus unangenehmer als vorher der leichte Geruch nach Fäulnis und Abwässern. Sie schrubbten überdrüssig und niesend die Porzellanschüssel, bis Kelly mit gebieterischer Gebärde an der Kette des Wasserkastens zog.
Dann gingen sie, und Mallory kleidete sich an. Er überprüfte sein Notizbuch. Der Terminplan für den Nachmittag war ausgefüllt, aber am Vormittag hatte er nur eine Verabredung. Mallory hatte bereits gelernt, dass Disraelis Unpünktlichkeit es erforderlich machte, den halben Tag für ihn freizuhalten. Mit etwas Glück mochte er Zeit finden, seine Jacke zur Reinigung zu bringen und sich die verklebten Blutklumpen von einem Barbier aus dem Haar waschen zu lassen.
Als er zum Speisesaal hinunterging, saßen dort zwei andere Spätfrühstücker und plauderten beim Tee. Einer war ein Kunsttischler namens Belshaw, der andere ein Museumsdiener, dessen Name Sydenham sein mochte; Mallory konnte sich nicht genau erinnern.
Bei Mallorys Eintreten blickte Belshaw auf. Mallory nickte höflich. Belshaw blickte mit unverhohlener Verblüffung zu ihm zurück. Mallory ging an den beiden vorbei und nahm seinen gewohnten Platz unter dem vergoldeten Gaskronleuchter ein. Belshaw und Sydenham begannen, mit halblauten Stimmen aufgeregt zu sprechen.
Mallory war verwirrt. Er war niemals förmlich mit Belshaw bekannt gemacht worden, aber konnte der Mann sich über ein einfaches Kopfnicken ärgern? Und Sydenham, dessen aufgeschwemmtes Gesicht blass geworden war, warf Mallory Seitenblicke zu. Mallory fragte sich, ob seine Hosenklappe offen sei. Sie war zugeknöpft. Aber die beiden Männer glotzten immer wieder in, wie es schien, echter Unruhe zu ihm herüber. Hatte seine Kopfverletzung sich geöffnet, troff Blut von seinen Haaren auf den Kragen? Es schien nicht der Fall zu sein …
Mallory gab seine Frühstücksbestellung auf; das Gesicht des Kellners war starr und hölzern, als ob die Wahl von Bücklingen und Eiern eine ernste Indiskretion wäre.
Mallory, dessen Verwirrung weiter zunahm, war drauf und dran, Belshaw in der Sache zur Rede zu stellen, und legte sich eine kleine Rede zurecht. Aber Belshaw und Sydenham standen plötzlich auf, ließen ihren Tee stehen und gingen hinaus. Mallory verzehrte sein Frühstück mit grimmiger Bedächtigkeit, entschlossen, sich von dem Vorfall nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
Er ging zum Schalter, um seine Post in Empfang zu nehmen. Der sonst diensttuende Angestellte war nicht da; an Lungenkatarrh erkrankt, sagte sein Vertreter. Mallory zog sich mit seinem Korb in die Bibliothek zurück, wo er seinen gewohnten Platz einnahm. Fünf seiner Kollegen waren anwesend, in einem Winkel des Raumes versammelt, wo sie sich angeregt unterhielten. Als Mallory aufblickte, glaubte er, sie zu ertappen, wie sie ihn anstarrten – aber das war Unsinn.
Mit oberflächlichem Interesse ging er seine Korrespondenz durch. Sein Kopf schmerzte wieder etwas, und seine Gedanken schweiften bereits ab. Er empfand die notwendige berufliche Korrespondenz als lästige Bürde, und die üblichen, ermüdenden Bettelbriefe und Bewunderungsschreiben zu lesen, schien ihm geradezu unerträglich. Vielleicht mochte die Einstellung eines persönlichen Sekretärs in der Tat unvermeidlich sein.
In einer sonderbaren Inspiration kam ihm der Gedanke, ob nicht der junge Mr. Tobias aus dem statistischen Zentralamt der geeignete Mann für diesen Posten
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