Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Verbraucherschutzregelung (auch wenn sie es ursprünglich gar nicht gewesen sein soll): Es ist die Verpflichtung aller Brauer, das Produkt nicht mit anderen Inhaltsstoffen zu versetzen als den erlaubten: Wasser, Hopfen und Malz. Wo Bier draufsteht, soll Bier drin sein. Das ist ein Schutzmechanismus für die Konsumenten, die Biertrinker. Denn mit den erlaubten Zutaten lässt sich zwar ein Alkoholrausch erzeugen. Aber tödlich vergiften kann man sich – zumindest kurzfristig – mit nach dem Reinheitsgebot gebrautem Bier nur schwerlich. Das war Anfang des 16. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als der eine oder andere Brauer sein Bier noch mit Tollkirsche verfeinerte und in weiten Teilen der heutigen Republik noch sogenanntes Grutbier getrunken wurde, das auf Kräutermischungen basierte, noch anders.
Der moderne Verbraucherschutz basiert auf folgendem Gedanken: Wenn wir nicht mehr selbst die Beeren pflücken und die Rehe jagen, die wir verspeisen, dann muss es Standards geben, auf die wir uns verlassen können. Und es braucht Akteure, die uns helfen können, wenn etwas schiefläuft. Wir kaufen Geräte, bei denen wir zwar wissen, was sie können sollen, aber dies nicht selbst rechtzeitig vor dem Kauf nachprüfen können. Wir nehmenDienstleistungen in Anspruch, bei denen wir auf Anhieb nicht nachprüfen können, ob sie wirklich so perfekt ausgeführt wurden, wie wir uns das wünschen. Und das alles natürlich auch noch zu dem Preis, der abgemacht war. Wir müssen darauf vertrauen können, nicht über den Tisch gezogen zu werden, sondern als Marktteilnehmer mit einem strukturellen Nachteil gegenüber dem Anbieter durch Recht, Gesetz, Transparenz und Sanktionsmöglichkeiten vor Missbrauch und Betrug geschützt zu werden.
Das klingt sehr theoretisch. Aber es ist der Rede wert, denn diese Prinzipien sind tief in unseren Alltag eingebettet, ohne dass wir es bemerken. Sind Sie schon einmal beim Einkaufen eines Kleidungsstückes in einem Laden auf die Idee gekommen, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu lesen? Nein? Warum auch. Dort wird nichts Überraschendes stehen. Es kann auch niemand von Ihnen erwarten, dass Sie das lesen, sofern Sie nicht gesondert darauf hingewiesen werden. Den Arbeits- oder Mietvertrag, den liest man wohl sehr genau, weil man weiß, dass darin Dinge versteckt sein könnten, die einem nicht zusagen. Aber bei der Vielzahl kleiner Geschäfte, die man jeden Tag tätigt, kann man nicht jedes Mal nachprüfen, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen stimmen. Man verlässt sich einfach darauf.
Sie stehen morgens auf. Schalten das Licht an. Der Stromvertrag? Sie duschen. Welche Konditionen haben Gas- und Wasserlieferant? Sie gehen Brötchen holen. Lesen Sie die AGB des Bäckers? Ach, Butter und Käse brauchen wir doch auch noch. Also holen wir sie schnell. Oh, nur noch 3 Euro Bargeld im Portemonnaie. Macht nichts, wir haben ja eine E C-Karte . Eine Unterschrift bitte – Sie bestätigen damit wahrscheinlich, dass sie die Rechnung gelesen haben – und dann schnell frühstücken. Man könnte diese Geschichte den ganzen Tag lang weiterverfolgen. Hier, da und dort – überall schließen wir Verträge ab, und im Regelfall müssen wir dem Gegenüber nicht misstrauen, werden uns weder über die Herkunft der Ware (höchstens per gut sichtbarem Bio-Aufdruck) informieren noch in irgendwelchen Diskussionen über die Vertragsmodalitäten ergehen. Das Bezahlen mit der Debitkarte an der Kasse ist aus Kundensicht ein einfacher Vorgang: Ich bezahle meine Ware, der Supermarkt zieht das Geld von meinem Konto ein. Über das gesamte relativkomplexe System dahinter macht sich kaum ein Kunde Gedanken, und das ist vollkommen richtig so: Dafür zu sorgen, dass darin keinerlei Überraschungen versteckt sind, das ist Aufgabe des Auftraggebers und des Dienstleisters.
Dieses System hat uns auch freier gemacht, so frei, dass wir außerhalb der Staatsgrenzen ohne weiteres shoppen gehen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Oder könnten. Früher fand der private alltägliche grenzüberschreitende Konsum nur in kleinem Rahmen statt. Deutsche fuhren nach Luxemburg zum Tanken oder ließen sich in Polen die Haare schneiden, Dänen kauften in Deutschland Bier oder Deutsche in der Schweiz ihre Schokolade. Dazu hat man sich von zu Hause wegbewegt und die Ware oder Dienstleistung vor Ort geprüft. Heutzutage müssen wir das nicht mehr, außer beim Tanken oder beim Friseur. Wir können online überall einkaufen,
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