Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
jeder Taxifahrer das für ihn relevante Straßensystem mehr oder weniger im Kopf haben. Im Zeitalter der Navigationssysteme ist das überhaupt nicht mehr wichtig.
Solche Entwicklungen finden an vielen Stellen gleichzeitig statt, aber bisher fehlen noch Antworten auf die Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft damit umgehen, dass einmal gelerntes Wissen uns nicht mehr durch das Leben bringt? Unsere gesamten institutionellen Lehr- und Lernstrukturen sind auf die alte Welt ausgerichtet. Jenseits schöner Sonntagsreden vom »lebenslangen Lernen« und der Idee, dass man jedem Kind einen Computer zur Verfügung stellen müsste, ist der Politik bislang wenig eingefallen. Das ist Ausdruck der Hilf- und Konzeptlosigkeit, mit der die Politik auf die digitalen Herausforderungen reagiert. Dort, wo sie tatsächlich unmittelbar etwas tun könnte, um Menschen eine Zukunft in der digitalen Welt zu ermöglichen, versagt sie.
Abgeschnitten vom neuen Wissen
Wir haben bereits zu Beginn des Buches darauf hingewiesen: Noch sind Computernutzung und Internetzugang keineswegs für alle Teile der Gesellschaft so selbstverständlich, wie dies angesichts von Facebook, Handy-Dichte und dem Getöse der digitalen Welt insgesamt erscheint. Es gibt ältere Menschen, die sich mit der Adaption dieser neuen Techniken in ihre Alltagswelt schwertun, und es gibt sozial Benachteiligte. Eine große Gruppe der deutschen Bevölkerung besteht aus Empfängern von Sozialtransferleistungen, im Volksmund Arbeitslose genannt. Wer seine Arbeit auf Dauer verloren hat oder nach dem Ende der Ausbildung keine Arbeit findet, rutscht in »Hartz IV«: Man erhält etwas Geld und Sachleistungen, um damit über die Runden zu kommen. Es ist nicht viel, aber es soll für das Lebensnotwendige reichen. Darüber, was das Lebensnotwendige ist, lässt sich streiten.
2,28 Euro monatlich, diese Summe war im Jahr 2011 für Empfänger von Hartz I V-Leistungen für die Internetnutzung vorgesehen. Die zugrunde liegende Berechnung ist simpel: So viel kostet es, wenn man in einem Internetcafé Bewerbungen schreibt und diese dann über das Netz verschickt. Das klingt irgendwie plausibel. Aber bei näherem Hinsehen wird man stutzig: Wenn »Hartz IV«, unter dem SP D-Kanzler Gerhard Schröder als »Fordern und Fördern«-Konzept propagiert, doch auch zum Ziel hat, dass die Beschäftigungslosen an den Arbeitsmarkt wieder herangeführt und für die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit fit gemacht werden sollen, wie kann es dann sein, dass man ihnen ausschließlich die Kosten für den Onlinebewerbungsprozess zugesteht? Ist nicht die Nutzung eines Computers und seiner Software und die Nutzung des Internets für viele Berufe inzwischen unabdingbare Voraussetzung? Und wie sieht es aus mit dem Nachwuchs in Hartz-I V-Familien ? Wie soll dieser ohne Internetzugang und ohne Möglichkeit der Computernutzung auch jenseits der Schule den Anforderungen einer sich ändernden Lernwelt gerecht werden?
Hier werden die Arbeitslosen von morgen produziert, hier werden Kinder und Jugendliche strukturell benachteiligt. Natürlich wird nicht jedes Kind aus einem Hartz-I V-Haushalt mitseinem Computer ein zweites Google oder Facebook gründen. Aber ohne Computer und Netz sind diese Kinder gegenüber ihren wohlhabenderen Altersgenossen so benachteiligt, werden so weit von den Anforderungen des Arbeitsmarktes ferngehalten, dass die heutige Politikergeneration sich dafür regelrecht schämen muss, diesen Mangel weder rechtzeitig erkannt noch beseitigt zu haben. Dabei wäre gerade die Vernetzung eine große Chance: Im Internet sieht man nicht, wer Hartz-I V-Empfänger ist. Der soziale Status ist hier nachrangig, es macht als egalitäres Medium keinen Unterschied zwischen Jacqueline aus Marzahn und Prof. Dr. Meier aus Schwabing. Wenn in Sonntagsreden davon gesprochen wird, dass »Hartz-I V-Karrieren « vermieden werden sollen, dann muss zumindest auch die Grundvoraussetzung dafür geschaffen werden, dass Kinder und Jugendliche sich neue Umfelder suchen können – unabhängig von den häuslichen Gegebenheiten. Ein im Hartz-I V-Satz enthaltener Internetzugang ist sicherlich nicht die ultimative Lösung des Problems, aber doch ein notwendiger Baustein.
Das Internet ist als Netzwerkverbund an Universitäten entstanden und hat noch immer ein elitäres Image. Das zu ändern ist nicht nur Aufgabe der Politik. Auch die Nutzer vergessen oft, dass die Digitalisierung aufgrund solcher Versäumnisse zur Spaltung der
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