Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Dienstleistung, einer Partei oder einem Kandidaten unser Vertrauen zu schenken.
Die Fragen, wie die Auswahl angeordnet ist, wie Informationen aufbereitet sein müssen, um unser Vertrauen zu gewinnen und vielleicht sogar auf unser Verhalten Einfluss auszuüben, beschäftigen Forscher seit Jahren. Die beiden U S-Ökonomen Cass Sunstein und Richard Thaler stellten viele Studien darüber an, ob wir das wählen, was nach objektiven Maßstäben »gut« für uns ist – oder das, was für uns einfach ist. Sie hielten die Ergebnisse in ihrem Buch ›Nudge‹ fest, was zu Deutsch etwa »stupsen« heißt. Sie untersuchten detailliert, unter welchen Umständen wir wie entscheiden und wie man durch die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen darauf Einfluss nehmen kann – wieman Menschen »anstupst«. Ein sehr einleuchtendes Beispiel sind bestimmte Werbe- E-Mails : Wenn wir in einem Onlineshop etwas bestellen, wird uns oft vorgeschlagen, dass wir doch auch einen Newsletter des Anbieters beziehen könnten. Dafür gibt es zwei Varianten: Entweder muss man ein Häkchen setzen. Oder man muss dieses Häkchen wegnehmen. Und, Sie ahnen es vermutlich: Wesentlich mehr Menschen abonnieren »freiwillig« den Newsletter, wenn sie den Haken wegnehmen müssten. Daher gibt es für derartige Mails in Deutschland gesetzliche Regelungen. Wer seinen Kunden Werbe-Mails zusenden möchte, der muss dafür ihre Einwilligung einholen – und zwar per sogenanntem »Opt-In«, also ohne dass zuvor schon ein Häkchen gesetzt ist. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass für unsere sogenannten freien Entscheidungen Regeln gefunden werden müssen, die verhindern, dass wir nicht dauernd ins eigene Verderben tappen oder zumindest in nervige Fallen.
Wir müssen also auf Instanzen und Sanktionsmechanismen vertrauen können. In der analogen Marktwirtschaft funktioniert das im besten Fall so: Wenn das Vertrauen von Kunden enttäuscht wird, werden sie entsprechend der Gesetzeslage entschädigt und kaufen in Zukunft bei einem anderen Anbieter. Die gibt es in der Regel. Im Netz sieht das etwas anders aus. Durch seinen alle örtlichen, zeitlichen und kulturellen Grenzen überschreitenden Charakter tendiert es zur Monopolbildung. Je höher die Frequenz der Zugriffe ist, je mehr Menschen ein Produkt nutzen, desto weniger ist Platz für ernsthafte Alternativen. Auf die speziellen Marktmechanismen des Netzes kommen wir später noch einmal zurück, aber es ist hier schon festzuhalten: Bei massegetriebenen Angeboten führt ein Mangel an ernsthaften Alternativen oft zu einer »Friss-oder-Stirb«-Situation.
Vertrauen ist schwer zurückzugewinnen, wenn es einmal verloren ist. Das gilt nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen, das gilt auch für Kundenbeziehungen – und für die Politik. Der Politik wird im Internet ein tiefes Misstrauen entgegengebracht, wegen der großen Zweifel, dass sie wirklich im Sinne der Bürger agiert. Die Politiker haben für diesen Eindruck einiges getan: In den vergangenen 20 Jahren haben sie das Internet zuerst ignoriert, und dann, als sie gemerkt haben, dass es wohl nicht wieder verschwinden wird, haben sie es in ersterLinie als Raum der Gefahr, als Hort der Kriminalität behandelt und nicht als zukünftig zu gestaltende Aufgabe für unsere Gesellschaft erkannt. Deshalb ist an die Stelle des Vertrauens ein tiefes Misstrauen getreten. Das wieder zu ändern ist eine schwierige Aufgabe, sofern man sie überhaupt als solche sieht.
Politik zwischen echten und gefühlten Zuständigkeiten
Zugleich unterliegt die Politik etwa in Europa einer enormen Dynamik: Nationalstaatliche Dimensionen lösen sich auf. Parallel zu der fortschreitenden politisch gewollten europäischen Integration sind viele Themen und Zuständigkeiten inzwischen nicht mehr in der Verantwortung des klassischen Nationalstaates, sondern eine auch geografische Ebene höher gerutscht: nach Brüssel, Straßburg und Luxemburg, auf die E U-Ebene . Insbesondere für die digitale Welt haben die meisten Nationalstaaten eingesehen, dass nationale Regelungen wenig Sinn ergeben.
Wer einmal mit dem Apparat der EU, mit der »E U-Regierung « namens E U-Kommission , den Ministern – sie heißen in Brüssel aber Kommissare – und ihren Mitarbeitern, mit dem E U-Par lament und dem E U-Rat der Mitgliedstaaten zu tun hatte, der wird feststellen: Dafür, dass Europa politisch weder Fisch noch Fleisch sein darf, kein Staatenverbund und kein Großstaat,
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