Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
hat, muss man in den Beinen haben«, ist eine Redewendung, die das heute noch sehr bildhaft veranschaulicht. In historischen Zeiten antworteten kluge Pennäler auf den Spruch »Wissen ist Macht« gern mit »Weiß nix, Macht nix«. Es gab Herrschaftswissen, königliches Wissen, Geheimräte, es gab eine Beziehung zwischen Macht und Wissen. Wer mehr wusste als andere, besaß ein besonderes Gut: Er konnte mit diesem Wissen etwas für oder gegen die anderen tun und war dadurch gegenüber seinen Mitmenschen automatisch höher gestellt. Wissen erzeugte Respekt vor der damit verbundenen Macht und führte zu Hierarchien. Gilt das auch heute noch, wo uns doch alles Wissen der Welt zu Füßen beziehungsweise an der Tastatur zu Händen zu liegen scheint?
Bildung für die Zukunft
Bis heute sind Wissen und Bildung eng miteinander verbunden. Wer Wissen erwirbt und gebildet ist, kann weiterkommen. Dazu muss man seinen Wissensstand mit formalisierten Bildungsabschlüssen belegen. Durch diesen Nachweis kann der eigene Status auch mit dem anderer Menschen mit gleichen Bildungsabschlüssen verglichen werden. Es gibt gewisse Grundfertigkeiten, die man zum Wissenserwerb und zur Nutzung dieses Wissens benötigt, Lesen, Schreiben, Rechnen. Menschen haben diese Techniken schon immer unterschiedlich gut beherrscht. Die einen können Texte schnell lesen und erfassen, andere tun sich damit schwer. Einige können abstrakte mathematische Probleme lösen, andere scheitern bereits am Einmaleins.
Aber abgesehen von solchen individuellen Unterschieden zeigt sich bereits am Beispiel von zwei dieser Grundfertigkeiten, wie sich die Welt inzwischen verändert hat. Eine gute Handschrift war früher ein wichtiges Merkmal von Bildung. Heute spielt sie kaum noch eine Rolle, denn es wird kaum noch mit der Hand geschrieben. Auch Kopfrechnen galt früher als relevante Kulturtechnik. Deshalb wurde das Einmaleins gepaukt. Doch im Zeitalter der Taschenrechner, ob als eigenes Gerät, oder am Computer und auf dem Smartphone, spielt das keine große Rolle mehr. Solche Fertigkeiten werden im Alltag kaum noch benötigt. Ganz zu schweigen vom Auswendiglernen von Gedichten oder geschichtlichen Daten. Nicht das Wissen als solches, sondern die Art der Wissenserschließung und die Kompetenz im Umgang mit Wissen sind in das Zentrum der Bildung gerückt. Dem Lesen, Schreiben, Rechnen, dem Kanon der Grundfertigkeiten, ist heute eine vierte Kompetenz zugewachsen: das Methodenwissen, manchmal auch spöttisch Kompetenzkompetenz genannt. Wenn man weiß, wie man sich Wissen erschließen kann, muss man es nicht im Kopf haben.
In manchen »Wissensberufen« – also zum Beispiel im Journalismus – war es schon früher so, dass es nicht darauf ankam, etwas zu wissen, sondern die Telefonnummer der Menschen parat zu haben, die einem schnell und kompakt erklären konnten, worum es ging, d. h. die richtigen Fachleute zu kennen. Ohne Grund- und Fachwissen wird unsere arbeitsteilig organisierteGesellschaft auch in Zukunft nicht auskommen, so viel steht fest. Aber die Bedeutung des Wissens verändert sich: Neben die Kernkompetenzen und das Kernwissen tritt der richtige Umgang mit dem verfügbaren Wissen. Hier kommt die Rolle der Digitalisierung als Veränderungsfaktor in den Blick.
Wenn es darum geht, welches Wissen und welche Fertigkeiten für die Gesellschaft der Zukunft notwendig sind, dann haben die klassischen Pädagogen keine Auskunft parat. Ihre eigenen Wissenswelten sind nicht auf das ausgerichtet, was heute Realität ist. Kaum ein jüngerer Mensch wird noch im Rahmen einer klassischen, westdeutschen Erwerbsbiografie mit der Abfolge Schule, Ausbildung/Studium, Arbeit, Rente durch das Leben gehen. Der einmal erlernte Beruf ändert sich unter den Händen der Arbeitenden. Wer in den 1970ern Informatik studiert oder am Band bei VW ausgebildet wurde, der findet sich heute in einer völlig umgestalteten Arbeits-Umwelt wieder, ebenso der Paketbote, der Biologe und der Romanautor. Mal ist es die Digitalisierung der Arbeitsmittel wie der programmierbaren CN C-Fräsen , mal der Einzug der Robotik in die Autoindustrie, dann die Vernetzung der wissenschaftlichen Gemeinschaft über den ganzen Globus hinweg oder auch der Einzug der Navigationsgeräte in die Taxen. In den 1990ern konnte ein Taxifahrer noch bei »Wetten, dass …?« antreten, weil er sämtliche Stadtpläne auswendig kannte. Dass er sie so gut intus hatte, war seine persönliche Spezialität. Aber im Grund musste
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