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Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Die Bedienung legte ihm die Rechnung zum Überprüfen vor. Alex machte eine Schau aus altmodischer Höflichkeit. Seine Buchführung wurde ebenso von einer elektronischen Maschine besorgt wie die anderer Restaurants, in der man seine Rechnung nie zu sehen bekam, weil die Maschinen keine Fehler machten. Aber Alex hielt auf Etikette. Ken warf einen flüchtigen Blick auf den kurzen Streifen Druckfolie und schob der Bedienung seine Kundenkarte zu.
    »Ken«, sagte Dado. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich das gleiche Experiment noch einmal an mir durchführte?«
    Ken stellte fest, daß er die Sache bislang noch nicht aus dieser Richtung betrachtet hatte. Wenn Nenu und ihre Gruppe tatsächlich eine Gefahr bedeuteten, dann war es von Vorteil, mehr Informationen über sie zu sammeln. Der einzige Ort, an dem man etwas über sie in Erfahrung bringen konnte, war die schwarze Welt. Die Bedienung kehrte zurück und legte Kens Kundenkarte auf den Tisch. Ken bemerkte sie nicht. Vielleicht ließen sich auf der schwarzen Welt Hinweise auf die Universenserie finden, aus der Nenu stammte.
    Plötzlich, fand er Dados Idee vorzüglich. Seine Müdigkeit war wie weggewischt.
    »Kein Einwand«, antwortete er. »Im Gegenteil. Was hieltest du davon, wenn wir den Versuch zusammen unternähmen?«
    Noch während er sprach, ging ihm auf, daß der Vorschlag nicht viel wert war.
    »Das hat keinen Zweck«, wehrte Dado ab. »Du weißt, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, zwei Personen so zu aktivieren, daß sie innerhalb einer Universenserie in denselben logischen Wahrnehmungskreis geraten.«
    Sie hatte recht. Niemand hatte den Versuch je unternommen – niemand auf unserer Seite, verbesserte sich Ken in Gedanken – aber die bisher gesammelten Erfahrungen erlaubten, eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung über ein solches Experiment anzustellen. Die Erfolgsaussichten waren praktisch null.
    Ken nahm die Karte auf. Er wollte sie achtlos in die Tasche schieben, aber der Daumen blieb an einer Stelle kleben, an der etwas Fettes, Schmieriges auf der glatten Plastikoberfläche haftete. Verwundert zog er die Hand wieder aus der Tasche und musterte die Karte.
    Die Geräusche des Lokals, das sich nun zu füllen begann, drangen plötzlich nur noch wie aus weiter Ferne zu ihm. Er sah Dado wie durch ein umgedrehtes Teleskop am endlos weit entfernten anderen Ende des Tisches sitzen. Das Blut pochte und rauschte ihm in den Ohren.
    Jemand hatte mit rotem Fettstift etwas mitten auf die Karte geschrieben – ein Zeichen, ein Symbol. Er hatte es schon fast vergessen, soweit jedenfalls, daß er es in seinem Bericht an Dado und Felip nicht erwähnt hatte.
    Ein schlankes X mit einem starken Querstrich durch die Mitte des Buchstabens.
     
    *
     
    Er erinnerte sich später kaum, wie er nach Hause gekommen war. Die Kombination von Panik und Wein versetzte ihn in einen Zustand dumpfer Hilflosigkeit. Er wußte nicht mehr, was mit ihm vorging. Es schien, daß Dado ihn nach Hause gebracht hatte. Als er schließlich seiner Umgebung wieder bewußt wurde, fand er sich am Tisch seiner Wohnküche sitzend, einen Topf mit schwarzem, dampfendem Kaffee vor sich. Er trank davon. Der verkrampfte Magen reagierte auf die bittere, heiße Brühe mit unerwarteter Vehemenz. Als Ken den Anfall würgender Übelkeit abreagiert und überstanden hatte, fühlte er sich so schwach, daß er kaum noch auf den Beinen stehen konnte, aber sein Kopf war wieder klar.
    So systematisch er konnte, begann er seine Lage zu analysieren. Was ihn wirklich umgeworfen hatte, war die Furcht vor dem Unheimlichen, das da auf ihn zukam, dunkel und unverständlich wie ein groteskes Gespenst aus der Nacht. Er hatte sich etwas vorgemacht, als er glaubte, er brauchte nur den Alltag auf sich einwirken zu lassen, um die Angst zu überwinden. Sie war da, ins Unterbewußtsein verdrängt, aber mit unverminderter Intensität. Das Zeichen auf der Karte hatte sie freigesetzt. Sie war über ihn hinweggeschwemmt und hatte ihn mit sich gerissen wie eine wilde Hut, die die Dämme gesprengt hatte, hinter denen sie gestaut war.
    So, stellte Ken Lohmer fest, konnte er nicht weitermachen. Er hatte sich getäuscht, als er annahm, daß die Verfolgung der Perzeptionstheorie ein rein wissenschaftliches Projekt sein werde, mit nicht mehr Gefahr verbunden, als man vernünftigerweise erwarten konnte, wenn man in ein völlig unerforschtes Gebiet vordrang.
    Die Situation war anders. Er war nicht der einzige, der sich mit der Hypothese des

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