Die Dilettanten
ja weiter nichts, wenn uns ein Wermutsäufer als Rotweinexperte und ein Astrologe als Zukunftsexperte präsentiert werden. Aber wenn man einen Fastfoodmanager als Ernährungsexperten, einen Pharmavertreter als Gesundheitsexperten, einen Konzernvorstand als Haushaltsexperten, einen Erbmilliardär als Steuerexperten und einen Rüstungshersteller als Friedensexperten ausgibt, dann wird es schon kritisch. Vollends irrwitzig und auch bedenklich aber wird der Expertenwahn bei Politikern.
In schätzungsweise 90 von 100 Fällen ersetzt das Beiwort Experte die solide Ausbildung: Als Wirtschaftsexperten etwa bezeichnen sich meist Lehrer, Anwälte, Soziologen, Theologen oder Studienabbrecher – ein Wirtschaftsprofessor braucht kein Zusatzetikett.
Dass selbst die größten Dilettanten damit durchkommen, hängt mit dem »ewigen Untertan« im Deutschen oder einem völkerübergreifenden Duckmäuser-Gen zusammen: Bei Titeln oderwichtig klingenden Bezeichnungen legt sich bei vielen – insbesondere bei simpleren Gemütern – der Grauschleier devoter Ehrfurcht über die letzten intakten Gehirnzellen. Schon die bloße Frage nach der Qualifikation gilt als ungehörig.
Heißt es, jemand habe »Jura studiert« – oft die nette Umschreibung eines Studienabbruchs –, dann gilt er bei den Untertanen schon fast als Verfassungsrichter, und ist jemand sogar irgendetwas mit der Vorsilbe Diplom- oder sogar »Herr Doktor«, dann zählt er gleich als Universalgenie: Diplom ist Diplom, und Doktor ist Doktor, egal in welchem Fach. So können sich gerade in der Politik Studienräte als Finanzexperten, Volkswirte als Gesundheitsexperten, Mediziner als Rechtsexperten oder Juristen als Bildungsexperten ausgeben.
Geradezu grotesk ist es, dass Politiker von der Sekunde an als Experten gelten, in der sie von ihren Parteien zu solchen ernannt werden. Dies ist, als würde sich ein Sportmuffel schon während der ersten Tennisstunde als neuen Boris Becker feiern lassen. Descartes verkehrt: »Ich denke, ich bin Experte, also bin ich Experte.«
2. Experte werden ist nicht schwer – Das Vortäuschen von Kompetenz
Experte werden ist also nicht schwer, Experte sein dagegen sehr. Unwillkürlich fühlt man sich an den Filmklassiker
Being There
(
Willkommen Mr. Chance
) erinnert, wo Peter Sellers als fernsehverblödeter Gärtner aufgrund seiner platten Sprüche für einen Weisen gehalten wird und sogar US-Präsident werden soll.
Im wirklichen Leben hat der berühmte falsche Psychiater und gelernte Postbote Gert Postel das Vorgaukeln von Fachwissenzur Wissenschaft entwickelt und es damit immerhin zum Bundeswehrmediziner, zum Rentengutachter und zum Oberarzt der Psychiatrie in einer sächsischen Klinik gebracht. Was er über den Kompetenzbluff in der Medizin schreibt, liest sich wie eine Anleitung für Politiker: »Wer die psychiatrische Sprache beherrscht, der kann grenzenlos jeden Schwachsinn formulieren und ihn in das Gewand des Akademischen stecken.« 46
Und wer den neoliberal-betriebswirtschaftlich gefärbten Politsprech draufhat, kann mühelos bei Plasberg oder Illner über der Marktwirtschaft neue Kleider fabulieren und so bei manch einem Durchschnittswähler den Anschein von Kompetenz erwecken.
Betrachten wir einmal die Umfragen über Politikerkompetenz: So lässt das ZDF-
Politbarometer
im August 2008 die Nonsensdemoskopen der
Forschungsgruppe Wahlen
1263 Bundesbürger befragen und verkündet einer gutgläubigen Fernsehgemeinde zur besten Sendezeit das Ergebnis: Demnach vermuten 33 Prozent der Deutschen Wirtschaftskompetenz am ehesten bei der CDU, 9 Prozent bei der SPD, 7 Prozent bei anderen Parteien. Dass 34 Prozent mit »keiner Partei« und 17 Prozent mit »weiß nicht« antworteten, lässt immerhin hoffen.
Dennoch scheint die eherne Maxime widerlegt, wonach zwar ein Nüchterner einen Betrunkenen imitieren kann, aber nicht umgekehrt: Offenbar kann Volksvertreter Schimmerlos doch erfolgreich den Fachmann mimen.
Woran aber »erkennt« der Bürger die Wirtschaftskompetenz? An
Zahlen, Daten, Fakten
? Woher will der Normalbürger wissen, welchen Anteil an der Konjunktur oder den Arbeitslosenzahlen der Bund, die EU, die Weltwirtschaft, die Bundesregierung und die CDU haben? Und wie will er Oppositionspolitiker beurteilen? Wie will der Normalbürger entscheiden, ob höhere Löhne gut sind, weil sie die Kaufkraft stärken, oder schlecht,weil sie die Unternehmen belasten und so deren Investitionsbereitschaft hemmen?
Dennoch halten sich die meisten
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