Die Dilettanten
der Abgeordneten vor allem gegenüber Fraktion und Regierung schützen, also gegenüber den »eignen Leuten«.
Zwei bereits legendäre Beispiele (neben dem Ypsilanti-Desaster) aus jüngerer Zeit belegen die Notwendigkeit dieses Schutzes: Bei den Abstimmungen 2001 zum Mazedonienkrieg und 2003 zur Gesundheitsreform drohte der damalige SPD-Fraktionschef Franz Müntefering den »Abweichlern«, ihnen beim nächsten Mal einen aussichtsreichen Listenplatz zu verweigern: Wer nicht spurt, fliegt raus.
Dies aber würde für viele das Ende der politischen Karriere und mangels einer gleichwertigen beruflichen Alternative auch den finanziellen »Ruin« bedeuten.
Wer dagegen von der Basis trotz allen Drucks von oben ein sicheres Direktmandat erhält, dem kann man immer noch den Weg zu höheren Ämtern in Fraktion, Parlament und Regierungverbauen. Dies ist zwar nicht die feine Art, aber die Unterscheidung zwischen erlaubter
Fraktionsdisziplin
und verbotenem
Fraktionszwang
ist in der Praxis kaum möglich. Nicht wenige Politiker dürften es deshalb für besser halten, ihr Gewissen der Parteidisziplin zu opfern.
Zur Klarstellung: Zwar verdanken die Politiker ihren Parteien oder deren Führung ihre gesamte Karriere – ohne Nominierung weder Listenplatz noch Direktmandat. Aber folgt daraus eine legitime Verpflichtung zur »Loyalität«? Ist etwa ein Angestellter, der vom Personalchef eingestellt und befördert wird, im Konfliktfall dem Personalchef mehr verpflichtet als dem Firmeninhaber? Natürlich nicht; dennoch würde das pflichtgemäße Verhalten des Angestellten beim Personalchef als »unkollegial« ankommen und abgestraft. Der Mitarbeiter weiß das, und der Inhaber muss ja nicht alles erfahren …
Dieses Dilemma erhärtet im Umkehrschluss den Verdacht, dass Jasager und Duckmäuser unabhängig von ihrer Qualifikation auf Karrierevorteile hoffen können. Gilt in der deutschen Politik, wie Michael J. Inacker in der
Welt
im Jahr 2002 vom rotgrünen Außenministerium behauptet hat, »Kumpanei statt Kompetenz«? 43
Nutzt also die größte Fachkompetenz nichts, wenn man sich innerparteilich nicht nach oben boxen, intrigieren oder schleimen kann? Dabei kann man dem einzelnen Politiker nicht einmal viel vorwerfen: Wenn sich über den Wolken herausstellt, dass die Fluggesellschaft ausschließlich Stewards angeheuert hat, aber weder Kapitän noch Kopiloten – was kann dann der einzelne Flugbegleiter dafür?
C. Kompetenz von eigenen Gnaden – Unsere Spitzenpolitiker
Allgemeinbildung darf man von unseren Spitzenpolitikern sowieso nicht erwarten, wie der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann festgestellt hat: »Die Bildungslücken der sogenannten politischen Eliten bei einfachsten historischen und kulturgeschichtlichen Fragen sind eklatant, und der Triumph des Meinungsjournalismus ist die Kehrseite der Tatsache, dass niemand mehr etwas weiß.« 44
Aber gilt auch in der Fachpolitik das Prinzip
Unbeschadet von jeder Sachkenntnis
? Tatsächlich scheinen die Überzeugungsdilettanten einen prominenten Fürsprecher zu haben – Barack Obama nämlich will lieber nicht zu viel von den Dingen wissen: »Wir haben einen Haufen sehr kluger Leute um uns herum, die zehnmal mehr über bestimmte Sachthemen wissen als wir. Und wenn man dann versucht, alles bis in kleinste Details selbst zu regeln und Lösungen auszuarbeiten, dann endet man als Dilettant.«
So weit werden ihm viele Spitzenpolitiker begeistert zustimmen. Doch schon bei Obamas nächstem Satz dürften sich die Geister scheiden: »Aber man muss genug wissen, um ordentlich über das entscheiden zu können, was einem präsentiert wird.« 45
Es geht also um die Frage, ob die Politiker »ihr Handwerk beherrschen«, also das Amt oder Mandat sachkundig ausüben oder wenigstens wissen, wovon sie reden und worum es überhauptgeht. Ein Vermögensverwalter muss nicht sämtliche Anlagemöglichkeiten bis ins letzte Detail kennen, er sollte aber wissen, dass ein Sparkonto relativ sicher und ein Warentermingeschäft relativ riskant ist.
1. Wann ist ein Experte ein Experte?
Herbert Grönemeyers Problem
Wann ist ein Mann ein Mann?
erscheint recht simpel, verglichen mit der Frage, was einen Experten ausmacht. Denn diese Bezeichnung ist nicht gesetzlich geschützt, und das ist für manche auch gut so.
In manchen Medien zum Beispiel geht ein Ägyptenurlauber als Nahostexperte durch, eine Schlüssellochvoyeurin als Societyexpertin, ein Glücksspielbetrüger als Börsenexperte. Nun macht es
Weitere Kostenlose Bücher