Die Dilettanten
bei vielen »Sprechern«, »Experten« oder Amtsträgern ist nicht einmal eine frühere oberflächliche längere Tätigkeit in ihrem Sachgebiet erkennbar. Es ist eben nicht so, dass man zuerst gewissenhaft nach dem fähigsten Kandidaten sucht und erst dann die Sache nicht am fehlenden Fachstudium scheitern lässt. Vielmehr erhält häufig jemand aus völlig fachfremden Gründen das Amt. Sollte diese Person – durch Studium oder nicht – Fachkompetenz besitzen, so ist dies eher ein glücklicher Zufall.
Vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die Qualifikation der politisch Verantwortlichen nicht nur legitim, sondern auch dringend geboten. Wie gesagt: Die Frage ist nicht, ob Examina an deutschen Lehreinrichtungen echte Leistungsnachweise sind. Es geht vielmehr darum, ob die Parteien de facto jede fachliche Ausbildung von vornherein als unwichtig erachten.
5. Das Recht des Volkes auf kompetente Politiker
Minister und Staatssekretäre schließen mit dem Volk eine Art Arbeitsvertrag. Das Volk gewährt ihnen ein annehmbares Einkommen und erwartet dafür eine Gegenleistung. Die Mitgliederder Bundesregierung müssen einen entsprechenden Amtseid nach Artikel 56 des Grundgesetzes ablegen:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe
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Logischerweise können die Amtsträger die vorgesehene Gegenleistung nur erbringen, wenn sie eine Minimalqualifikation besitzen. Andernfalls drängt sich die Frage auf, wofür sie denn ihr Geld bekommen. Firmen stellen Hausdetektive zur Mitarbeiterkontrolle formal als »Sachbearbeiter« ein; und hat die herausgeputzte junge Chefsekretärin offenbar keinerlei Bürokenntnisse, so grinst alles bedeutsam und denkt sich seinen Teil.
Anders als das Regierungsmitglied muss der Abgeordnete überhaupt nichts versprechen. Nach jenem Grundgesetzartikel 38 ist er ein »Vertreter des ganzen Volkes, der an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen ist«. Wer aber außer dem Abgeordneten selbst will beurteilen, was sein Gewissen befiehlt? Ganz offenbar erhält »Gewissen« hier die Bedeutung von »Gutdünken«: Der Volksvertreter kann tun und lassen, was er will, sofern er sich im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt.
Aber im Nachhinein ist man immer klüger. Mit einer derartigen Dreistigkeit, mit der sich unbedarfte Menschen (oft genug am Volkswillen vorbei über die Parteilisten) ins Parlament hieven lassen und sich dort als »Experten« gerieren, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes wohl kaum gerechnet – es gibt kein verfassungsrechtliches Dilettantenverbot.
6. Kompetenz unerwünscht – Der Nutzen inkompetenter Politiker
Manchmal aber scheint Kompetenz nicht nur überflüssig, sondern auch gar nicht erwünscht. Inkompetente Politiker sind nämlich in der Regel besonders loyal: Wer keinen blassen Dunst hat, will nicht auffallen und schon gar keinen Streit mit der Führung; schließlich ist er wegen seiner Inkompetenz erpressbar: Wo würde er schon einen ähnlichen gut dotierten, ähnlich im Rampenlicht stehenden Job finden?
Wie steht es aber nun mit der Gegenleistung inkompetenter Fachpolitiker? »Zu irgendwas müssen sie doch nützlich sein« für die Kanzlerin, die Regierung oder die Partei.
Die allgemeine These lautet: Erwartet wird statt der Arbeit für das Gemeinwohl – zu der sie ja schon rein fachlich sowieso nicht fähig wären – die bedingungslose Unterstützung der Machtinteressen derer, denen sie ihren Job verdanken.
Diese Unterstützung ist aber umso bedingungsloser, und diese Politiker sind umso »pflegeleichter«, je schlechtere Karten sie haben. Und es ist durchaus vorstellbar, dass die Kanzlerin mit einem Theologen oder einer Bibliothekarin im Staatssekretärsrang ähnlich spricht wie weiland Kaiser Franz Beckenbauer mit seinen Bayern-Spielern: »Wäret ihr keine Fußballprofis, so müsstet ihr unter den Isarbrücken schlafen.«
6.1. Können Politiker lügen?
»Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht«, sagte der deutsche Schriftsteller Max Halbe (1865 bis 1944). Demnach entlastet die vollständige Inkompetenz viele Politiker vom Vorwurf der Lüge. Der Princetoner Philosophieprofessor Harry G. Frankfurt nennt das hirnlose Geschwafel ohne die Spur vonSachkenntnis
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