Die Dilettanten
Parteiführung für ihn den in Zeiten der nassforschen Aufsteigertypen so dringend gesuchten SPD-»Stallgeruch« – was immer das inzwischen auch bedeuten mag bei einer Partei, die für soziale Kälte nach innen und für Kriegseinsätze nach außen steht.
Frank-Walter Steinmeier (SPD), Jurist, Vizekanzler und Außenminister
Kommt erst die Macht und dann die Moral?
Frank-Walter Steinmeier, geboren am 5. Januar 1956 in Detmold (Kreis Lippe), wäre nach den Worten des Fernsehjournalisten Friedrich Küppersbusch »in einer gefühlten Brandt-SPD rechter Rand«. 92 Seit 1986 ist er Volljurist, von 1986 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Gießen, 1991 Medienreferent der Niedersächsischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Gerhard Schröder, von 1993 bis 1994 Schröders Büroleiter, danach bis 1996 Chef der Abteilung für Richtlinien der Politik, Ressortkoordinierung und -planung, von 1996 bis 1998 Staatssekretär und Leiter der Niedersächsischen Staatskanzlei, ab 1998 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste, ab Juli 1999 Chef des Bundeskanzleramtes, seit 2005 Außenminister, seit 2007 Vizekanzler, seit 2008 Kanzlerkandidat.
Schon in Hannover gilt Steinmeier als »Schröders wichtigster Kopf« 93 : »Er fütterte den Ministerpräsidenten Schröder mit halbseitigen Aktennotizen, und der sagte: ›Mach mal, Frank!‹« 94 Und als Kanzler gesteht Schröder bei Kerner, außer der Gattin Doris und der Büroleiterin Sigrid Krampitz traue er nur »dem Frank«. 95
Allerdings ist er zunächst eher Machtverwalter als Macher, eine Art »allwissende graue Effizienz«, umgeben »von buckelnden Zwergen« (
Stern
). Vor allem wird ihm »Ameisenfleiß« nachgesagt: »Keine Hobbys, keine Zeit für Kino und Theater. Stets macht er im Kanzleramt das Licht aus.« 96
Als Außenminister macht er dann endlich auch öffentlich von sich reden und zeigt, was in ihm steckt: Im Frühjahr 2008 feiert er die Verabschiedung der Anti-Streubomben-Konvention von Dublin durch 109 Staaten als Erfolg, obwohl er in den Verhandlungen als »Bremser« aufgetreten ist. Dies findet jedenfalls Grünen-Chefin Claudia Roth und wirft ihm und seinem Ministerkollegen Jung »Heuchelei« vor. Tatsächlich haben die beiden die deutschen Streubomben ursprünglich erst mit jahrelanger Verzögerung vernichten wollen. Zudem setzt vor allem die deutsche Delegation eine Verwässerung im Interesse der US-Regierung durch: Die Unterzeichner dürfen an Kriegseinsätzen der USA und anderer Länder teilnehmen, auch wenn dabei durch Streubomben Frauen und Kinder getötet oder verstümmelt werden. Im August 2008 nennt er den Kaukasuskrieg einen der schwersten Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges und stößt eine »drastische Warnung« (
Spiegel
) gen Osten aus: »Russlands Kampf gegen Georgien und die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens könnte mit »unabsehbaren Folgen« Europas gesamte Sicherheitsarchitektur ins Wanken bringen.
Aber auch innenpolitisch lässt der Außenminister die Puppen tanzen: Nachdem im Juni 2008 die Iren in einem Referendum den Vertrag von Lissabon klar abgelehnt haben, empfiehlt ihnen Steinmeier den »Ausstieg aus der EU«. Als im Juli 2008 Wolfgang Clement wegen seiner Tiraden gegen Andrea Ypsilanti vor dem Parteiausschluss steht, gibt Steinmeier ihm Rückendeckung. Im September 2008 reißt er die Kanzlerkandidatur ansich, obwohl im März laut Emnid 91 Prozent der SPD-Wähler darüber eine Urwahl gefordert haben. Und schon kurz darauf gibt er die Ampelkoalition als Ziel aus.
Den besten Aufschluss über Steinmeiers Handeln und Moral, vor allem seine Wahrheitsliebe, liefern seine Aktivitäten als Schröders Geheimdienstwächter. Zwei Bundestagsgremien befassen sich von 2006 bis 2008 mit dem Skandal um den in Bremen geborenen Türken Murat Kurnaz: der Verteidigungsausschuss mit dem Vorwurf der Misshandlung Kurnaz’ durch deutsche KSK-Soldaten im Gefangenenlager von Kandahar Anfang 2002. Zwar findet man keine Beweise, aber für den Ausschussvorsitzenden Siegfried Kauder (CDU) bleibt am Ende ein »beklemmendes Gefühl«. Unverblümt meldet
Panorama
am 11. September »Zweifel an Steinmeiers Glaubwürdigkeit« an. 97 Und der BND-Untersuchungsausschuss nimmt sich der Frage an, ob die damalige rot-grüne Bundesregierung ihm während seiner Inhaftierung in Guantanamo von 2002 bis 2006 frühzeitig hätte zu Hilfe eilen können. Im März 2007 meldet
Spiegel Online
: »Berlin steuerte
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