Die Dilettanten
brain«. In diesem Umfeld, als Einäugiger unter Blinden, erarbeitet er die Lorbeeren, die Merkel erntet.
Seit 1971 ist er in der CDU, ab 1983 Mitarbeiter der Regierenden Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen, von 1985 bis 1989 Referatsleiter der Senatskanzlei und Pressesprecher der CDU-Fraktion. 1990 ist er beteiligt am Aufbau der letzten DDR-Regierung und in der Verhandlungsdelegation für den Einigungsvertrag, von 1990 bis 1994 Kulturstaatssekretär und von 1994 bis 1998 Chef der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, ab 1999 Leiter der Sächsischen Staatskanzlei, ab 2001 Finanzminister, ab 2002 Justizminister und ab 2004 Innenminister, jeweils in Sachsen, seit 2005 schließlich Kanzleramtsminister.
»Merkels Mann für den Hintergrund« (
Süddeutsche
) spielt in einer ganz anderen intellektuellen Liga als Baumann, wird aber ebenso unterschätzt. »Die Kanzlerin macht keine Fehler«, ist seine Devise. »Wenn jemand Fehler macht, bin ich das. Das ist Teil meines Gehalts, das muss man wissen.« 86
Anfangs gerät er oft mit Baumann aneinander, jetzt teilt man sich die Arbeit: Sie ist für Merkels Auftritte zuständig, er für die Details des Regierens. Das aber bedeutet Hintergrundwissen, und das wiederum bedeutet Macht. Da macht es fast gar nichts, dass er gleichsam anonym der Kanzlerin die Lorbeeren kranzfähig serviert, ohne eigenen Ruhm zu ernten, schließlich ist genau
das
sein Job. Und tatsächlich: wenn Merkel zuweilenmit hochwichtiger einstudierter Mimik und Rhetorik ungeheuer kompetent klingende Sprechblasen über Finanzkrise und Klimaschutz, Nato-Bündnis und Bildungsmisere parliert, fragt man sich zuweilen, wo sie das wohl alles aufgeschnappt und wie in halbwegs vernünftiges Deutsch gebracht hat.
De Maizière sieht sein stilles Wirken allerdings eher gelassen: »Ich kann in Berlin in jede Kneipe gehen, ich werde nicht gestört, mich kennt hier keiner.« 87 Seiner Macht und seinem Einfluss tut das ohnehin keinen Abbruch.
Franz Müntefering (SPD), Industriekaufmann, Parteichef
Phrasen statt Kompetenz: »Einbinden, mitnehmen, überzeugen«
Franz Müntefering, geboren am 16. Januar 1940 in Neheim (Sauerland), ist eine politische Kunstfigur: Sein Image hat mit seiner Person so viel zu tun wie James Bond mit Sean Connery. Nach der Volksschule und einer Industriekaufmannslehre arbeitet der vermeintliche frühere Bergmann ab 1957 im Büro eines mittelständischen Metallbetriebs. 1966 tritt er der SPD bei, 1967 der IG Metall, beides Stützpfeiler seiner Karriere. Von 1969 bis 1979 ist er im Gemeinderat Sundern, von 1975 bis 1992 im Bundestag, von 1991 bis 1992 Parlamentarischer Geschäftsführer, von 1992 bis 1995 nordrhein-westfälischer Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, ab 1996 im Landtag, von 1995 bis 1998 Bundesgeschäftsführer der SPD. Nach gewonnener Wahl 1998 überlässt er Peter Struck den Fraktionsvorsitz und wird ebenso absurderweise wie pflichtbewusst Bundesverkehrsminister. Diesen Posten gibt er im September 1999 auf, um den als »Lafontaine-Mann« geächteten Ottmar Schreiner als Geschäftsführer kommissarisch abzulösen, sich in »Generalsekretär« umtaufen zu lassen und bis 2002 die Parteiauf Schröder-Kurs zu bringen. Anschließend ist er bis 2004 Chef der Bundestagsfraktion, ab März 2004 Parteichef. Den Parteivorsitz wirft er kurz nach der Wahl 2005 hin, weil bei einer vorstandsinternen Abstimmung über den neuen Generalsekretär sein Zögling Kajo Wasserhövel gegen Andrea Nahles verliert. Dafür erhält er die Regierungsämter Arbeitsminister und Vizekanzler, die er 2007 wegen des Krebsleidens seiner Frau Ankepetra aufgibt. Nach deren Tod im Juni 2008 taucht er auf der politischen Bühne wieder auf und wird erneut Parteichef.
Die Basis für seine Karriere ist die »Hausmacht«: Ab 1984 ist er im Vorstand und von 1992 bis 1998 Chef des einflussreichen SPD-Bezirks Westliches Westfalen, von 1998 bis 2001 Chef der Landes-SPD.
Mangels echter Persönlichkeiten wie Kurt Schumacher, Fritz Erler, Willy Brandt, Herbert Wehner oder Helmut Schmidt ist Müntefering derzeit tatsächlich eine Art »Seele der Partei«. Aber wofür steht er? Gegenwärtig verteidigt er so verbissen wie ein Sechsjähriger die überschwemmte Strandburg die Agenda 2010. Aber macht ihn seine Kumpanei mit den hartnäckigen Neoliberalen Steinmeier und Steinbrück zum »Moses von Schröder« (
taz
)?
Münteferings Gütesiegel ist die bedingungslose – eine eigene Meinung
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