Die Dilettanten
wobei die Wirtschaftswoche und vor allem die Arbeitgeberkampftruppe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit seiner Ernennung zum »Ministerpräsidenten des Jahres 2003« massive Wahlhilfe leisten. Dies ist für seriöse Politiker zwar eher Beifall aus der falschen Ecke – als würde Placido Domingo von Dieter Bohlen zum »Superstar« ausgerufen –, bringt ihm aber 2005 eine Berufung als Schattenwirtschaftsminister im Kompetenzteam der Kanzlerkandidatin Angela Merkel ein. Wirtschaftskompetenz? Müller? Sollte ein Volkswirt Menschen operieren, ein Arzt jemanden vor Gericht vertreten? Und ein Jurist für fremde Leute, geschweige denn für eine ganze Bevölkerung wichtige Wirtschaftsentscheidungen treffen?
Immerhin kämpft er schon im Jahr 2001 gegen die völkische Stimmungsmache seiner eigenen Partei und »unterwandert die CDU« (
Spiegel
) mit einem Bekenntnis zum Asylrecht und Sprüchen wie »Die Behauptung, das Boot sei voll, ist falsch.
Tatsache ist, dass das Boot immer leerer wird« sowie mit Vorschlägen zur Öffnung Deutschlands für Einwanderer.
Entsprechend engagiert sich der Machtmensch Müller bereits 2004 für die Option Schwarz-Grün und springt auch gerade noch rechtzeitig auf den Zug der Hartz-IV-Kritiker auf: Im Herbst 2007 fordert er eine Reform der Agenda 2010, vor allem eine »zügige« Überarbeitung des Arbeitslosengeldes I: Die CDU-Führung sei vom Parteitag eindeutig beauftragt worden, die Bezugsdauer für jene älteren Arbeitslosen zu verlängern, die lange Zeit Beiträge gezahlt hätten. Und wenn die Koalition dies nicht schaffe, werde dies »sicher im Bundesrat noch einmal auf die Tagesordnung kommen«. 121
Dummerweise aber hat er es bei der nächsten Landtagswahl mit dem Alptraum aller alteingesessenen Parteien zu tun, und da ist Pfeifen im Wald Pflicht: Sein »Duell« mit Oskar Lafontaine sei »spannend«, das Ganze eine Richtungswahl und der Chef der Partei Die Linke daher ein »idealer Gegner«, denn er »steht für Steinzeitsozialismus. Rot-Rot mit einem Ministerpräsidenten Lafontaine würde dieses Land isolieren … Das Saarland als erste sozialistische Volksrepublik im Westen – ist das mehrheitsfähig?«
Damit sein Volk nicht die falsche Antwort gibt, rutscht Müller verbal beträchtlich nach links und entdeckt sein Herz für die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer. So fordert er zu Merkels Verdruss penetrant die sofortige Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale als »Signal an die Leistungsträger«. Auch bei der Managerschelte ist er mittenmang dabei: Die Höhe der Gehälter »geht die Politik nichts an. Etwas anderes ist jedoch die Frage, ob der Steuerzahler diese Gehälter mitfinanzieren muss.« Daher sollten die Unternehmen Gehälter und Abfindungen nur noch bis eine Million Euro steuerlich absetzen können. Bei der Laufzeit von Atomkraftwerken allerdings willer ein »Arrangement mit der Industrie«, die aber Extraprofite freundlicherweise an die Verbraucher weitergeben sollte. 122
Doch Sprüche hin, Versprechen her: Je näher der Urnengang rückt, desto nervöser wird Müller. Im September 2008 fordert er für den Fall, dass sich SPD-Frau Andrea Ypsilanti in Hessen tatsächlich mit Hilfe der Partei Die Linke wählen lasse, das sofortige Ende der Koalition und Neuwahlen.
Horst Seehofer (CSU), Diplomverwaltungswirt (FH), bayerischer Ministerpräsident und Parteichef
Links angetäuscht und rechts vorbei
Horst Seehofer, geboren am 4. Juli 1949 in Ingolstadt, ist eine wandelnde Mogelpackung. Ab 1969 ist er in der Jungen Union, seit 1970 Diplomverwaltungswirt, seit 1971 in der CSU (FH), arbeitet von 1970 bis 1980 in den Landratsämtern Ingolstadt und Eichstätt, ist seit 1980 im Bundestag, von 1983 bis 1989 sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, ab 1989 Parlamentarischer Staatssekretär für Arbeit und Sozialordnung, ab 1992 Gesundheitsminister, seit 1994 CSU-Vize, ab 1998 CDU/CSU-Fraktionsvize, von 2000 bis 2008 Chef der Christlichen Sozialausschüsse (CSA) der CSU, vor der Wahl 2002 Gesundheitsexperte in Stoibers Kompetenzteam, danach bis 2004 zuständig im Parteivorstand für Gesundheit und soziale Sicherung, ab 2005 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und seit Oktober 2008 CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident.
Seit jeher umgibt sich Seehofer mit dem Flair des ständigen linken Querulanten. Als er 2003 als Unionsverhandlungsführer zur Gesundheitsreform 2003 das Unionskonzept als »Privatisierungsorgie«
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