Die Dilettanten
Kraft schaffen.« 112
Im April 2007 stellt Oettinger bei seiner Trauerrede beim Staatsakt zum Begräbnis des früheren Nazirichters und MinisterpräsidentenHans Filbinger den »furchtbaren Juristen« (Rolf Hochhuth), der 1978 wegen Kritik an seiner Vergangenheit zurücktreten musste, als regelrechten Widerstandskämpfer dar. Im Dezember 2007 gibt er einmal mehr den ehrenamtlichen BDI-Funktionär und bläst zum Kampf gegen Mindestlohn in der Zeitarbeit und gegen den Kündigungsschutz, der die Zeitarbeit erst notwendig mache.
Im Januar 2008 schimpft Oettinger, das »Scheiß-Privatfernsehen«, namentlich RTL und RTL 2, sei schuld an der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen. 113 Aber Moment: Hat sich der wackere Schwabe hier nicht in seinem eigenen neoliberalen Wust verheddert? Sind die Zuschauer nicht mündige Bürger, die in Ausübung ihres Grundrechts auf Informationsfreiheit ihr Programm kritisch selbst auswählen? Will Oettinger etwa eine Bevormundung des Nachwuchses durch staatliche Regulierung oder gar Zensur wie in den bolschewistischen Staaten unter Stalin und Honecker?
Aber vielleicht sind es gerade diese logischen Brüche, die Oettinger im Führungszirkel der Union so unentbehrlich machen. Und einer mehr, der die Marktwirtschaftstheorie von Adam Smith als Anstiftung zum plump-brachialen Umverteilen von unten nach oben missinterpretiert, kann bei all den »Sachzwängen der Globalisierung« gar nicht schaden.
Christian Wulff (CDU), Jurist, niedersächsischer Ministerpräsident
Der Wulff im Schafspelz
Christian Wulff, geboren am 19. Juni 1959 in Osnabrück, wird als »personifiziertes 0:0« (Kurt Beck) gern unterschätzt, ist aber der eleganteste Karrierist unter den Merkel-Jägern.
Seit 1975 ist er CDU-Mitglied, von 1978 bis 1980 Bundeschefder Schüler Union, von 1983 bis 1985 Chef der Jungen Union Niedersachsen, von 1986 bis 2001 Ratsherr der Stadt Osnabrück, von 1989 bis 1994 CDU-Ratsfraktionschef, seit 1990 Rechtsanwalt, seit 1994 im Landtag und gleich Fraktionschef. Bei den Wahlen 1994 und 1998 unterliegt er als Spitzenkandidat gegen Gerhard Schröder. Seit 1998 ist er CDU-Bundesvize, seit 2003 Ministerpräsident und wird am 27. Januar 2008 wiedergewählt – aufgrund einer taktischen Meisterleistung. Als Roland Koch vor der zeitgleichen Hessenwahl junge kriminelle Ausländer zum Hassobjekt machen und sogar Kinder nach Jugendstrafrecht aburteilen und ins Gefängnis stecken will, distanziert er sich deutlich: »Kinder sind Kinder.« 114
Die SPD wiederum lässt er leerlaufen, indem er sich möglichst nicht festlegt oder gar SPD-Forderungen übernimmt. Und damit auch »Volkes Stimme« auf seiner Seite ist, unterrichtet der gläubige Katholik (»Bis dass der Tod euch scheidet«) die Wähler über seine Trennung von Frau und Tochter ausführlich in
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Sein gewolltes Markenzeichen ist das knallharte Sparen – die Bevölkerung hat’s ja: Mit geradezu fanatischem Eifer streicht er bei allen, die bei drei noch keine Lobby haben, ob bei den Hochschulen, den Schulen, denen er das Zentralabitur nach 12 Schuljahren aufdrückt, oder in der eigenen Staatskanzlei. Und wo er schon mal dabei ist, schafft er auch gleich alle Bezirksregierungen ab, zahlt den 130 000 Beamten nur noch 12 Gehälter und streicht das Weihnachtsgeld. Aber damit nicht genug: Einmal in Schwung … war die Streichung des Blindengeldes an der Reihe. Darüber spricht Wulff nur zu gerne. »Die Reformen müssen schließlich sein.« 115
Nur folgerichtig verspricht er im September 2008 einen »wirtschaftsbezogenen« Bundestagswahlkampf. Mit Blick auf die Reformkonzepte des Leipziger CDU-Parteitages von 2003 forderter:»Leipzig wird sich in vielen Positionen im Wahlprogramm und im Regierungsprogramm 2009 wiederfinden müssen.« Damals war die CDU unter anderem für Kopfpauschalen in der gesetzlichen Krankenversicherung und ein radikales Steuerkonzept zugunsten der Unternehmen eingetreten.
Geradezu bombastisch und irreal wird es, wenn Wulff angesichts der globalen und nationalen Arm-Reich-Schere verkündet, die CDU habe den »Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben«. Das wirtschaftliche Wachstum komme allen zugute. Dass sie ein »Höchstmaß an sozialer Sicherheit« schaffe, sei »die eigentliche Faszination der CDU«. Daran werde sich nichts ändern.
Da braucht man im Grund auch gar keine Justiz mehr, schon gar nicht in Sachen Arbeitslosengeld: Besonders am Herzen liegt dem Landesvater offensichtlich die zügige Durchführung
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