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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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abkanzelt, heißt es »Sprengsatz Seehofer« 123 , und mit »Seehofer zeigt Merkel die Zähne« 124 kommentiertman sein Auftreten bei der Gesundheitsreform 2003. Wegen seines Kampfes gegen die Kostenexplosion der Arzthonorare nennen ihn Zahnärzte »Honecker« und »Kommunist«, und für Ulrich Claus von der
Welt
ist er sowieso ein »Herz-Jesu-Marxist«. 125 Und tatsächlich lehnt Seehofer im Jahr 2005 das Wahlprogramm von CDU und CSU als zu wirtschaftsliberal ab.
    Warum man den Aufrührer Seehofer aber nicht längst herausgemobbt hat, liegt auf der Hand: Er ist in der Partei und der Fraktion sehr beliebt und gilt in der Öffentlichkeit als Patron der kleinen Leute. Die aber könnten Seehofers »Entsorgung« als Angriff auf ihre Interessen deuten und der Union bei den nächsten Wahlen die Quittung präsentieren.
    Selbst Erzfeind Stoiber bindet den unbequemen Rivalen, der nach seiner schweren Herzkrankheit »vor nichts mehr zurückschreckt« lieber ein, als ihn sich zum Gegner zu machen.
    Dies freilich gelingt nur begrenzt. Im November 2004 legt Seehofer aus Protest gegen den zwischen Stoiber und Merkel ausgehandelten Gesundheitskompromiss die Federführung für Gesundheitspolitik nieder, was ihm den Titel »Lafontaine der CSU« einbringt. Die übrigen Parteiämter behält er jedoch.
    Im Februar 2008 riskiert er zwar noch gegen die Fieberphantasien der CDU-Marktradikalen um Christian Wulff für die kommenden Wahlkämpfe eine große Lippe: »Seehofer kanzelt neoliberale Reformer ab«, meldet dementsprechend die Tagesschau. Aber als Verbraucherminister vertritt er ziemlich durchgängig die Interessen der Konzerne
gegen
die Konsumenten: So bringt ihm die Behauptung, die Ampelkennzeichnung sei ein Standortnachteil für die Wirtschaft, den Vorwurf der »Lobby-Nähe« ein.
    Vor allem sein Verbraucherinformationsgesetz vom Mai 2008 erweist sich eher als dasselbe wie der Politiker Seehofer selbst, also als Mogelpackung, wie
Report Mainz
im September 2008am Beispiel der Identifizierung von Gammelfleisch-Gangstern nachweist. Versprochen hatte Seehofer: »Ich glaube, dass die Nennung eines Namens, wenn jemand gegen das Lebensmittelrecht verstoßen hat, mehr präventive Wirkung hat als das ganze Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrecht.« 126 Als
Report
dies probiert, kommt das Aha-Erlebnis: Die Behörde »kennt die Namen, doch Verbraucherinformationsgesetz hin oder her, einfach herausgeben, das geht nicht … Der Grund: Alle Firmen können noch gegen die Herausgabe klagen. Außerdem will uns das Amt einen Teil der Hersteller nicht nennen. Begründung: Es handle sich um ›wettbewerbsrelevante Informationen‹, die höher zu bewerten sind als das ›Informationsinteresse des SWR‹.« Auf Deutsch: Besorgte Bürger dürfen die Namen von Gammelfleischverbrechern deshalb nicht wissen, weil dann von ihnen kein Aas mehr kaufen würde und dies für die Verkäufer ein »unzumutbarer Wettbewerbsnachteil« wäre.
    Aber nicht nur für Lebensmittelgangster ergreift Seehofer Partei. Kaum ist er als Ministerpräsident bestimmt, legt er sich auch für die Nachkommen der Superreichen ins Zeug. Im Oktober 2008 droht er der großen Koalition mit Blockade, falls die sich nicht von der CSU erpressen lässt.
    Wozu? »CSU will reiche Erben verschonen«, freut sich schon seit Juni 2008 die
Financial Times Deutschland
. Und die SPD stellt fest: »Damit sollen Millionäre am Starnberger See geschont werden.«
    Letzte Zweifel an Seehofers Charakter als prinzipienloser eigennütziger Politiker erledigen sich im November 2008, als er getreu der Logik, die Bewahrung der Schöpfung schade der Wirtschaft, eine Rücknahme der EU-Klimaschutzziele zugunsten der Spritschleudern deutscher Autokonzerne fordert.
    Welche Facetten Seehofer uns noch vorführen und was er noch alles anstellen wird, ist schwer zu sagen. Als »Krawallmacher«
(Spiegel)
und Quertreiber in sämtliche Richtungen taugt er alle mal.
     
3. Heimliche Herrscher
    Sie ist im Bund in der Opposition und sitzt nur in einer einzigen Landesregierung; dennoch treibt die Partei Die Linke die Konkurrenz vor sich her. Ob Nachbesserung der Agenda 2010, Regulierung der Finanzmärkte, Konjunkturprogramm oder Pendlerpauschale: Immer öfter geschieht genau das, was Lafontaine, Gysi & Co. lange zuvor gefordert und dafür Häme bis Hass der anderen Parteien kassiert haben.
    Das Rezept scheint denkbar einfach: Getreu dem Spruch Victor Hugos, »Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist«, schaut man

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