Die Dilettanten
der »Armut per Gesetz«. Also bringt Niedersachsen – nach der Devise »Was nutzt die schönste Umverteilung nach oben, wenn sich die Betroffenen juristisch dagegen wehren können?« – gemeinsam mit vier anderen Ländern im Oktober einen Gesetzentwurf im Bundesrat ein, wonach Hartz-IV-Empfänger mit wenigen Ausnahmen die Anwaltskosten für Klagen gegen falsche Bescheide selbst tragen müssen. Die Logik: Wer tatsächlich Geld für Anwälte hat, der ist sowieso nicht bezugsberechtigt.
»Leise, still und zäh« hangelt sich ›die sanfte Gefahr‹ nach oben«, bemerkt
Zeit
-Autor Matthias Geis. »Immer häufiger muss er sich gegen den Verdacht wehren, er spekuliere auf den Sturz der Parteivorsitzenden.« 116 Und es hat etwas von »Wer sich verteidigt, klagt sich an«, wenn er Gerüchte über eine Verschwörung gegen Merkel wütend eine »absurde Unterstellung« nennt.
Anders als Roland Koch, kann er eventuelles Streben nach Höherem noch gut verbergen. Zuweilen vermittelt er den Ein-druck,gar nicht zu wissen, dass es das Amt des Bundeskanzlers überhaupt gibt. Aber da ihm das eigentlich niemand abnimmt, wird er auf Nachbohren für seine Verhältnisse erstaunlich konkret: Während Gerhard Schröder am Zaun des Kanzleramts gerüttelt habe, sei er der Typ, der nach den Öffnungszeiten fragen würde.
Und wenn die kommen, dann lässt ein Christian Wulff sicherlich nichts anbrennen. Dass es kein Widerspruch ist, nett, freundlich und umgänglich zu sein und gleichzeitig skrupellos, geradlinig und ohne Rücksicht auf Verluste die eigenen Interessen durchzuboxen, wissen die Bürger ja nicht erst seit Gerhard Schröder: Gelegentlich hat man diese Spezies auch als Vorgesetzten, Personalchef oder gar als Kollegen.
»Christian Wulff kündigt immer nur an, dass er etwas sagt, und sagt dann nichts«, fasst Daniela Vates in der
Berliner Zeitung
Wulffs Taktik – oder Charakter? – zusammen. 117 Und wenn er doch mal Stellung bezieht, dann richtig: Am 6. November 2008 bezeichnet er in der NTV-Talkshow
Friedman
die Kritik an Managergehältern als »Pogromstimmung«, was ihm prompt eine empörte Kritik (»Unverschämtheit«) und eine Rücktrittsforderung des Zentralrats der Juden einbringt.
Klaus Wowereit (SPD), Jurist, Regierender Bürgermeister von Berlin
Volkstümlicher Neoliberaler mit 68er-Flair
Klaus Wowereit, geboren am 1. Oktober 1953 in Berlin, schlendert lässig und tabulos auf die Kanzlerschaft zu. Seit 1971 ist er in der SPD, ab 1979 in der Bezirksverordnetenversammlung, ab 1981 Fraktionschef und Volljurist, ab 1984 Bezirksstadtrat, ab 1995 im Abgeordnetenhaus und Fraktionsvize, ab 1999 Fraktionschef, ab 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin unddamit erster Regierungschef einer rot-roten Koalition in einem Teil der alten Bundesrepublik. 2006 wird er wiedergewählt.
Dass Klaus Wowereit trotz oder wegen seines offensiven Bekenntnisses »Ich bin schwul, und das ist auch gut so« einer der beliebtesten deutschen Politiker ist, bedeutet einen schweren Schlag für die – von den Gossenmedien unterstützte – schwarzbraune Soße aus frömmelnder Bigotterie und faschistoider Homo phobie, also die spießigen deutschen Untertanen. Die Wut dieser schrill »schweigenden Mehrheit« erinnert an ihr Entsetzen, als im Jahre 2001 der damalige grüne Außen minister Joschka Fischer wegen seiner Vergangenheit als linksradikaler Steinewerfer nicht etwa von »anständigen Deutschen« am nächsten Baum aufgehängt, sondern zum »unbestrittenen Tabellenführer der politdeutschen Beliebtheitsliga« (
Welt
) wurde. Dass »Wowi« überdies als feucht-fröhlich-frivoler »Party-Prinz der SPD« (
Stern
) Furore macht, täuscht zuweilen über seine immense politische Zielstrebigkeit, sein taktisches Geschick und seine machtorientierte Chuzpe hinweg.
So hat er als erster und weit und breit einziger Spitzenpolitiker zunächst die Berliner PDS, dann die Berliner Partei Die Linke als gewöhnlichen und folglich neoliberal stark angehauchten Karrieristenverein entzaubert. Im Jahre 2001 lässt er als amtie-render Chef einer rot-grünen Minderheitsregierung nach der Wahl die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen bewusst scheitern, um der Ostpartei die Regierungsbeteiligung wie eine Wurst hinzuhalten. Denn er weiß: Die meisten Berliner PDS-Abgeordneten, besonders die mit SED-Vergangenheit, wollen vor allem eines: »In der Demokratie ankommen« – auf Deutsch: »wie eine normale Partei« (Gregor Gysi) und wie normale Politiker und
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