Die Dilettanten
Wahl
Einer Binsenweisheit zufolge haben Parteien in einer marktwirtschaftlichen Demokratie »als Hauptmotiv den Wunsch, sich die mit dem Regierungsamt verbundenen Vorteile zu verschaffen; daher streben sie nicht die Regierung an, um vorgefasste politische Konzepte zu verwirklichen, sondern formulieren politische Konzepte, um an die Regierung zu kommen«. 14 Entsprechend ist »das Hauptmotiv der Regierung »Maximierung der Stimmen, nicht des Nutzens oder der Wohlfahrt«. 15
Das liegt zwar in der Natur der Sache, war aber nicht immer so offenkundig wie heute. In Weimar wählten überwiegend die »Gottesfürchtigen« das Zentrum, die Arbeiter die SPD, dann alle gemeinsam Adolf Hitler, und dann in der Bundesrepublik die (katholischen) Christen die Zentrumsnachfolger CDU/CSU und die Arbeiter wieder die SPD.
Aus den verschiedensten Gründen – zu den wichtigsten zählt die Umdefinition der SPD in eine Volkspartei durch das Godesberger Programm von 1959 sowie das massive »Wegsterben« des Industrieproletariats – präsentieren sich die Parteien heute längst als machtorientierte »Allerweltsparteien«. Die Schröder-SPD schlägt beim Sozialabbau die Union um Längen, und die wiederum demonstriert mit diversen Änderungsforderungen zur Agenda 2010 ihr Herz für die Kleinen Leute. Die Folge: »Die alten Bindungskräfte dieser Parteien haben stark nachgelassen, sie sind den Menschen nicht mehr, wie früher, eine politische Heimat, sondern eine Art Hotel: die Leute kommen und gehen – und bleiben immer öfter ganz weg. Sie finden dortnicht mehr, was sie jahrzehntelang gefunden haben: Grundorientierung.« 16
Damit aber erweist sich die Vergrößerung der Zielgruppe als Nachteil: Ein nicht mehr traditions- oder ideologiegebundener Bürger wird nämlich nicht nur zum Wechselwähler, sondern auch im Wortsinn »wählerisch« und wendet sich verstärkt den kleineren Parteien zu: Die CDU koaliert inzwischen mit allen außer der Partei Die Linke, die SPD sogar mit der, und auch die Unversöhnlichkeit der Grünen und der FDP beruht kaum noch auf Inhalten, sondern im Gegenteil auf dem erbitterten Kampf um das weitestgehend selbe Wählerpotenzial.
Diese Beliebigkeit führt seit geraumer Zeit zu einem Raumgewinn der kleinen zu Lasten der beiden großen Parteien. Gut möglich, dass am Ende ein »System der mittelgroßen Parteien« entsteht.
In jedem Fall aber verlieren die Parteien durch die Aufgabe von Prinzipien und Visionen »an innerer Kraft, die aber unverzichtbar ist, um nach außen anziehend zu wirken, um kluge und ehrgeizige Mitglieder zu gewinnen, auch um Kraft- und Führungsnaturen zu rekrutieren«. 17 Was übrigbleibt, sind die Dilettanten: »Allerweltsparteien fehlen gesellschaftliche Wurzeln, intellektuelle Ambitionen; die Choreografie von Möglichkeiten jenseits dessen, was gerade ist«, bemerkt Franz Walter. »Aber wozu braucht man Parteien dieses Charakters eigentlich noch?« 18
1. CDU: Neoliberaler Sozialstaat gefällig?
Nicht erst die Wirtschaftskrise, schon die Verwandlung von 640 000 Wählern in Nichtwähler bei der Bundestagswahl 2005 im Vergleich zu 2002 – bei der SPD waren es »nur« 370 000 –zeigt deutlich, dass die Anhängerschaft der CDU/CSU aus verschiedenen Gruppen besteht, deren Erwartungen immer weniger unter einen Hut zu bringen sind.
Die zukunftsängstlichen Senioren, die sich von der Politik verraten fühlen und vor Altersarmut ebenso Angst haben wie vor dem Verfall der Demokratie und vor jeglicher sozialer Veränderung.
Die bröckelnde politische Mitte, die alle neoliberalen Reformen bislang bereitwillig mitgemacht hat, sich aber nun um den Lohn dafür betrogen sieht. Dass der »Umbau« des Sozialstaates auch die Zukunft ihrer Kinder gefährdet, also quasi ihren Lebensinhalt, entfernt sie mehr und mehr von der Union.
Die marktradikalen Scharfmacher, die die Grundwerte der Union hinwegfegten.
Der Feind der Parteimehrheit war diesmal nicht der Bolschewist mit Planwirtschaft, Mauer und Stacheldraht, sondern die selbsternannte neoliberale Elite, die die traditionellen Einrichtungen, Bräuche und Kulturen recht emotionslos vernichtete. Jene Spezies also, deren »rauschhafte Party entgrenzter Märkte« 19 wie zum Beispiel 2003 auf dem Leipziger CDU-Parteitag die meisten Funktionäre am liebsten ungeschehen machen würden.
Nun aber ist das Loblied auf den
Rheinischen Kapitalismus
und seine eben noch als Schnee von gestern verhöhnte Soziale Markwirtschaft wieder in Mode. Herablassende
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