Die Dirne und der Bischof
geben. Ich kann noch nicht sehen, wo wir dann am Ende stehen.«
»Du hast feine Sinne und ein gutes Gespür«, sagte Elisabeth leise.
Jeanne legte den Kopf in den Nacken und sah zu dem klaren Sommerhimmel auf. »Ich kann nicht die kleinste Wolke am Himmel entdecken. Du meinst wohl keinen Sturm, der von dort oben über uns hereinbricht.«
Gret schüttelte den Kopf. »Nein, ich könnte mir denken, dass er sich jenseits des Mains in der Stadt zusammenbraut.« Ihr Blick wanderte zu den beiden jungen Rittern, die nun im Schatten des Tores mit einem Mann zusammenstanden, der trotz des warmen Wetters eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte, sodass sie seine Züge nicht erkennen konnten.
»Seht sie euch nur an. Ich kann geradezu riechen, dass mit denen was nicht stimmt.«
»Mir schaudert auch immer ganz unangenehm, wenn sie mir nahe kommen«, gab Elisabeth zu. »Ich habe es aber auf meine überspannten Sinne geschoben.«
Gret sah sie ernst an. »Tu das niemals! Vertraue deinem Gespür, denn es gibt etwas in uns, das schlauer ist als unser Verstand, und das warnt uns vor Gefahren.
Ich kann dir nur raten, sei vorsichtig! Dir ist schon einmal übel mitgespielt worden, und du hast keine Ahnung, wie das gekommen ist.«
Erst als Elisabeth versprochen hatte, wachsam zu sein, machte sich Gret auf den Weg zur Küche, und Jeanne kehrte in die Gemächer im Westflügel zurück, um Elisabeths Gewand für den Abend bereitzulegen und warmes Wasser für ihren Waschkrug zu holen. Elisabeth blieb noch eine Weile alleine im Hof zurück. Ihre Gedanken wanderten zu Albrecht. Wo war er? Was tat er, und warum hatte er sich seit zwei Wochen nicht bei ihr gemeldet? Er hatte nicht so geklungen, als wären seine Gefühle für sie erloschen.
Er ist jetzt ein Domherr und gehört der Kirche, erinnerte sie ihre innere Stimme.
Aber war das ein Grund, nicht mehr mit ihr zu sprechen und gar nichts mehr von sich hören zu lassen?
Er wird beschäftigt sein , rechtfertigte Elisabeth sein Schweigen. Und außerdem ist er hier auf der Burg nicht mehr gern gesehen. Ob sie in die Stadt gehen und ihn aufsuchen sollte? Doch war es ratsam, in die heiligen Hallen des Domkapitels einzudringen? Die Gesichter des Domherrn von Grumbach und seines ekelhaften Dieners Fritz Hase stiegen in ihr auf. Was würde geschehen, wenn sie ihnen über den Weg liefe? Würde der Domherr sie als Dirne bloßstellen? Sie stellte sich Hans von Grumbach mit seiner ernsten Miene vor, in der sie nicht zu lesen verstand. Sie konnte es nicht sagen. Allerdings war sie sich sicher, dass Fritz Hase Gehässigkeiten aller Art liebte und sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, sie vor dem ganzen Kapitel und vor allem vor Albrecht von Wertheim als sündhafte Lügnerin zu entlarven. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als zu warten, ob er sich bei ihr melden würde. Mit einem Gefühl der Trostlosigkeit ging sie zu ihrem Gemach zurück. Als sie dort anlangte, erwartete Jeanne sie mit leuchtenden Augen.
»Sieh, dieses Schreiben hat ein Bote für dich abgegeben und mich schwören lassen, dass ich es dir persönlich und unter vier Augen gebe.«
Elisabeth erkannte das Siegel mit dem Adler und den drei Rosen auf dem winzig zusammengefalteten Stück Pergament. Es war das Wappen der Grafen von Wertheim. Rasch brach sie das Siegel und entfaltete den Brief. Es standen nur wenige Worte darauf:
Es dauert nicht mehr lange. Der Stein ist ins Rollen gekommen. Nimm Abschied, und halte dich von ihm fern. Du musst seinen Weg nicht teilen! Ich bin an deiner Seite. Hab Vertrauen! A.
Kapitel 26
In einem Zustand fieberhafter Erwartung verbrachte Elisabeth die nächsten beiden Tage, aber nichts Ungewöhnliches geschah. Immer wieder faltete sie das Stückchen Pergament auseinander, um Albrechts Worte zu lesen. Immer wieder fragte sie sich bang, was für einen Weg es für sie geben könnte, wenn sie des Schutzes ihres Vaters beraubt werden würde. Albrecht wollte an ihrer Seite bleiben. Ein Mann der Kirche? Wie stellte er sich das vor? Wollte er sie irgendwo vor den Augen derÖffentlichkeit verborgen als seine Mätresse halten? Er war nicht der Bischof, dem man seine sündhaften Verhältnisse nachsah und der die Frauen an seiner Seite doch zumindest mit Höflichkeit behandelte. Und auch seine Kinder konnte ein Bischof in einen Stand erheben, der dem eines Junkers ebenbürtig war. Doch war dieses Gebäude von Dauer? Oder würde es einstürzen, sobald der Bischof entmachtet wurde? Es hing alles
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