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Die Dirne und der Bischof

Die Dirne und der Bischof

Titel: Die Dirne und der Bischof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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hier etwas schlecht ist, dann ist es die Seele! Und die kann ich ihr ja kaum herausziehen, wenn ich sie am Leben halten soll.«
    Elisabeth protestierte. »Sie hat keine schlechte Seele!«
    »Ach nein? Dann soll sie Buße tun, wenn sie erwacht, und fortan nicht mehr sündigen!«, fauchte die Alte. Ihre Berührungen, mit denen sie Marthe umsorgte, waren allerdings sanft.
    »Wie könnte sie das tun?«, widersprach Elisabeth.
    »Hat Gott uns nicht einen freien Willen gegeben, um uns von den Tieren zu unterscheiden?«
    »Ja, das hat Gott der Herr, doch der Bischof und der Rat haben uns keine Möglichkeit zur Umkehr gelassen, um auf andere Weise unseren Lohn zu verdienen und von den Menschen, die sich für anständig halten, wieder aufgenommen zu werden.« Die Zähne fest zusammengebissen, hielt sie dem Blick der Alten stand.
    Die dunklen Augen blitzten. »Ein erstaunlich heller Geist in diesen Niederungen der Sünde. Wo kommst du her, Mädchen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Die Alte runzelte die eh schon zerfurchte Stirn. »Du weißt es nicht? Was soll das heißen?«
    »Ich wurde gefunden und hierher gebracht, kann mich aber nicht erinnern, wo ich früher gelebt habe und wer ich war«, fügte sie hinzu.
    Die Alte legte ihre krallenartigen Finger um Elisabeths Arm und zog sie ins Licht der offenen Tür. »Lass dich einmal anschauen. Du erinnerst mich an jemanden, aber nein, das ist nicht möglich.« Sie ließ sie los und kehrte an Marthes Bett zurück. Dieses Mal war es Elisabeth, die nach dem Arm der anderen Frau griff.
    »An wen erinnere ich dich?«, drängte sie. »Du kennst so viele Menschen - ja vielleicht sogar alle Familien in Würzburg und den Vorstädten. Meine Familie muss mich doch vermissen. Hast du nichts gehört?«
    Die Alte schüttelte energisch den Kopf. »Es verschwinden täglich Menschen. Viele junge Leute machen sich auf und davon, um ihr Glück woanders zu suchen. Narren! Doch um deine Frage zu beantworten: Nein! Ich kenne niemanden in der Stadt, der dich vermissen könnte.«
    Elisabeth sackte ein wenig in sich zusammen. Sie fühlte Tränen hinter ihren Lidern brennen und schloss für einen Augenblick die Augen.
    »Nun werde nicht jämmerlich. Du hast es selbst gesagt. Der Bischof und der Rat haben es nicht vorgesehen, dass eine wie du das Haus der Sünde jemals wieder verlässt, wenn sie es einmal betreten hat. Was würde es dir also nützen, wenn du deine Herkunft wüsstest? Verzehren würde es dich! Und nun fass mit an, und lass uns sehen, ob die Blutung endlich aufgehört hat.«
    Elisabeth tat, wie ihr geheißen, doch sie dachte: Auch die Ungewissheit verzehrt mich! Wie kann das Wissen noch schlimmer sein?
    Am nächsten Tag wachte Marthe endlich wieder auf. Sie lächelte schwach und war noch nicht wieder in der Lage, irgendjemanden zu beschimpfen. Jeanne hielt das für ein schlechtes Zeichen und prophezeite, sie werde es nicht schaffen. Doch mit jedem Tag kehrte ein Stück ihrer Kraft - und ihrer Wortgewandtheit zurück. Gertrud kam noch immer jeden Tag vorbei, zankte sich mit der Eselswirtin und flößte Marthe ihren Kräutersaft ein. Als Marthe zwei Tage später Anna anfauchte, sie sei ein fetter Trampel, grinste diese nur und erzählte allen, Marthe würde wieder gesund werden. Ester weinte ein paar Tränen der Erleichterung, die anderen gebärdeten sich weniger überschwänglich, auch wenn sie natürlich alle froh waren, dass sie es schaffen würde.
    »Obwohl ich die Zeit ohne ihre scharfe Zunge durchaus genossen habe«, sagte Gret.
    »Vielleicht hat sie der nahe Tod milder gemacht«, meinte Ester.
    »Ach ja? Das glaubst du?«, mischte sich Jeanne ein. »Dann bist du das größte Schaf, das ich kenne!«
    »Ich seid alle so hart«, beschwerte sich Ester.
    Gret zog eine Grimasse und legte der hässlichen Frau den Arm um die Schulter. »Ja, und du bist viel zu gut und zu weich!«
    »Ein gutes, weiches Schaf«, gluckste Jeanne und drückte einen schmatzenden Kuss auf die vernarbte Wange.
    An einem heißen Sommerabend legte sich Marthe zum ersten Mal wieder zu einem Kunden, und die Miene der Meisterin entspannte sich endlich. Auch die anderen atmeten auf, schließlich waren in den vergangenen Wochen die Launen der Eselswirtin noch unberechenbarer gewesen. Vielleicht war ihre zurückkehrende Ausgeglichenheit auch der Tatsache zuzuschreiben, dass Gertrud dem Frauenhaus den Rücken gekehrt hatte und der Henker keine Anstalten machte, die Verfehlung vor den Rat zu bringen. So kehrte der Alltag wieder ein,

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