Die Dirne und der Bischof
Tür geöffnet wurde, rasch zwei Schritte zurück. Mit einem Blick erfasste Elisabeth, dass diese ungewöhnliche Besucherin aus gutem Hause stammte. Alles an ihr strahlte Wohlstand aus: das ordentlich aufgesteckte Haar mit der kleinen Haube, der teure Stoff von Tuch und Rock und die stolze Haltung. Dennoch sprach aus ihrem Blick Unsicherheit, und sie fühlte sich hier an diesem Ort sichtlich unwohl, auch wenn ein wenig Neugier in ihrem Blick stand.
»Womit kann ich Euch dienen?«, fragte Elisabeth ein wenig verwirrt, als sie ihre Musterung beendet hatte. Dieses Mädchen kam sicher nicht, um hier nach Arbeit zu fragen.
»Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Man sagte mir, er sei hier zu finden«, sagte das Mädchen, mied aber Elisabeths Blick, als sei es für ihre Tugend bereits gefährlich, eine Dirne anzuschauen. Nun, vielleicht ist es das ja auch, dachte Elisabeth mit einem Blick auf ihren hochgeschnürten Busen und das freizügige Dekolleté.
»Wer ist denn Euer Vater? Das solltet Ihr mir verraten, wenn ich Euch bei Eurer Suche behilflich sein soll.«
»Oh, ja«, das Mädchen errötete. »Es ist Ratsherr Maintaler, den alle den Tuchscherer nennen. Ich bin Otilia, seine Erstgeborene.«
Elisabeth nickte. »Ja, er ist hier.« Für einen Moment erwog sie, das Mädchen hereinzubitten, doch dann sagte sie: »Wartet hier. Ich bringe ihn gleich zu Euch.«
Das Mädchen nickte. Elisabeth eilte zu ihrem Kunden zurück und half ihm, sich von der Bank zu erheben. Das war nicht leicht, denn inzwischen hatte er noch zwei weitere Becher Wein geleert. Er schien ihre Worte nicht recht zu begreifen.
»Was? Wer? Otilia? So heißt auch meine älteste Tochter.«
»Es ist Eure Tochter, und sie ist gekommen, um Euch nach Hause zu bringen.«
Der Ratsherr zog die Stirn kraus. Er betrachtete Elisabeth. »Aber du bist eine Dirne, und das ist das Frauenhaus.«
»Ja, Herr«, bestätigte Elisabeth.
Der Ratsherr überlegte. »Dann kann meine Tochter nicht hier sein«, schloss er nach einer Weile. »Das würde sich ganz und gar nicht schicken, und sie ist eine wohlerzogene Tochter, die ihren Eltern stets Ehre macht.«
Er wankte und wäre fast ihrem Griff entglitten, doch sie fing ihn auf und dirigierte ihn zur Tür. Elisabeth stieß sie mit dem Fuß auf und hielt sie mit der Schulter offen.
»Das ist eine Ausnahme, Herr Ratsherr. Es ist sicher nichts Verwerfliches daran, den eigenen Vater nach Hause zu bringen.«
Hans Maintaler wollte ihr gerade widersprechen, da fiel sein Blick auf das Mädchen. »Was fällt dir ein, dich an solch einem Ort herumzutreiben, und dazu noch in nächtlicher Dunkelheit?«, fuhr er seine Tochter mit schwerer Zunge an. »Ich bin zutiefst von dir enttäuscht!«
Das Mädchen ließ sich nicht einschüchtern. Trotzig hob es das Kinn. »Auch Ihr solltet nicht hier sein, Vater. Die ande ren Kinder ängstigen sich. Ihr arbeitet so viel und seid am Tage nie daheim, da solltet Ihr wenigstens am Abend bei ihnen sein - jetzt, da sie die Mutter so schmerzlich vermissen.«
Otilia war Teresas Tochter! So wenig Elisabeth an diesem Abend über die verstorbene Ratsherrenfrau erfahren hatte, ihre Klugheit und den starken Willen schien sie an ihre Tochter weitergegeben zu haben. Der Ratsherr versuchte sich zwar an einer strengen Miene und wies seine Tochter halbherzig zurecht - so könne sie nicht mit ihrem Vater sprechen -, dennoch schien er beschämt und war bereit, ihr nach Hause zu folgen. Elisabeth überließ Otilia den Platz an ihres Vaters Seite, doch dessen klare Momente schienen nun für diese Nacht endgültig vorbei zu sein. Er hing schwer in den Armen des zierlichen Mädchens und drückte es in die Knie.
»So schaffe ich das nicht«, sagte sie, und Elisabeth musste ihr beipflichten.
»Könntest du mir nicht helfen, ihn nach Hause zu bringen?«
»Was, ich?« Das war ein ungewöhnlicher Auftrag. Was würde die Meisterin dazu sagen, wenn sie sich jetzt entfernte? Womöglich kam noch ein Kunde, der dann nicht bedient werden konnte.
»Ich bezahle dich dafür. Was willst du? Ich gebe dir drei Pfennige - oder vier, aber bitte komm mit! Alleine schaffe ich es nicht.«
Elisabeth zögerte. Das war der halbe Preis für ihren Körper, nur dafür, dass sie half, einen Betrunkenen durch die Stadt zu führen. Wenn sie ablehnte und kein Kunde mehr käme, dann würde sie in dieser Nacht gar keine Münzen mehr verdienen.
»Was ist hier los?« Else Eberlin trat aus der Tür. Die Hände in die fleischigen Hüften
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