Die Dirne und der Bischof
gestemmt, wanderte ihr Blick von ihrer Dirne über den betrunkenen Ratsherrn zu seiner Tochter. Elisabeth beeilte sich, ihr die Lage zu erklären.
»Hat er für den Wein und die Dienste schon bezahlt?«
Elisabeth schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht zu sagen, dass er es gar nicht bis zu ihrem Lager geschafft hatte.
Else rechnete. »Also, ich bekomme zwei Schillinge und drei Pfennige für den Abend hier und dann noch die vier für den Heimweg.« Sie streckte die offene Handfläche vor. Elisabeth legte sich wieder den Arm des Ratsherrn über die Schulter, während seine Tochter die Geldbörse des Vaters aufschnürte und Else die Münzen in die Hand zählte. Sie sagte nichts, doch Elisabeth sah das wütende Funkeln in ihren Augen. Es würde sie nicht wundern, wenn es dieser Tochter gelänge, ihren Vater auf Dauer vom Frauenhaus fernzuhalten.
Sie machten sich mit der schweren Last zwischen sich auf den Weg. Am Tor übernahm Otilia auch die Heller für das Öffnen des Törleins, das sie in die schlafende Stadt führte. Zuerst schwieg Otilia und sah eisern in die andere Richtung, doch dann gewann ihre Neugier die Oberhand. Ohne den Blick zu heben, sprach sie Elisabeth an, und schon nach wenigen Sätzen verlor sie die Befangenheit, in die die Aura des Frauenhauses sie gezogen hatte. Sie gewann die Selbstsicherheit zurück, die sie auch ihrem Vater gegenüber gezeigt hatte. Elisabeth mied alle Themen, die das junge Mädchen in Verlegenheit hätten stürzen können. Hans Maintaler sagte gar nichts. Obwohl er brav einen Fuß vor den anderen setzte, hatte Elisabeth den Verdacht, dass er bereits in der Welt der Träume weilte.
Das prächtige Haus der Ratsherrenfamilie lag gleich hinter der Münze. Otilia stieß mit der Schulter die Tür auf und bat, ihr zu helfen, den Vater auf das Ruhebett in der großen Stube zu legen. Sie durchquerten die große Halle, in der Bündel und Kisten mit Waren lagerten, und mühten sich dann ab, den Betrunkenen die Treppe hochzuziehen. Endlich konnten sie ihn auf das Polster sinken lassen. Hans Maintaler grunzte zufrieden und kringelte sich wie ein Tier in seiner Höhle zusammen. Die beiden sahen auf ihn herab.
»Geschafft«, sagte Elisabeth und lächelte. »Hier kann er seinen Rausch ausschlafen.«
»Ja, das kann er. Und ich hoffe, dass ich ihn bis zur Sitzung am Morgen wach bekomme und es mir gelingt, ihn in einen Zustand zu versetzen, in dem er sich vor den anderen Ratsmitgliedern präsentieren kann, ohne der Familie Schande zu bereiten.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh nein, das hätte ich natürlich nicht sagen dürfen. Manches Mal geht meine Zunge einfach mit mir durch.«
»Ich habe nichts gehört!«
Otilia sah Elisabeth offen an. »Danke!« Anscheinend sah sie nun nur noch die junge Frau, die ihr geholfen hatte, nicht die Dirne, die in diesem Haus seltsam fehl am Platz wirkte. Elisabeth sah sich neugierig um. Alles war fremd und doch auch vertraut. Es standen nicht übermäßig viele Möbel in der Stube, nur die, die eine Familie benötigte, und diese waren solide gefertigt und mit so viel Schmuck versehen, dass man die wichtige Stellung der Familie in der Stadt herauslesen konnte. Das Zinngeschirr auf einem Regal enthielt wertvolle Taufgeschenke und Präsente von anderen wichtigen Festen im Leben eines Bürgers. Ein bestickter Wandteppich verlieh dem Raum mit dem dunklen Dielenboden und der Balkendecke ein wenig Farbe.
»Das ist eine schöne Arbeit«, sagte Elisabeth und trat näher, um den Gang der Garne zu betrachten. »So einen habe ich schon einmal gesehen, doch es war eine andere Szene dargestellt.«
»Ach ja? Es gibt nicht viele davon. Vater sagt, es ist ein seltenes Stück.«
Elisabeth antwortete nicht. Hatte sie wirklich schon einmal solch einen Wandteppich gesehen? Vage Bilder huschten vorbei. Wo war das gewesen? In einem reichen Bürgerhaus so wie diesem? Stumm standen sie einander gegenüber. Vom Ruhebett drangen gleichmäßige Schnarchtöne herüber. Die Befangenheit kehrte zurück. Sie waren einander nicht gleichgestellt, und Elisabeth hatte in so einem Haus nichts verloren! Und doch scheute sie sich, sich zu verabschieden und dieses Zimmer altehrwürdiger Zuflucht zu verlassen.
»Willst du vielleicht noch etwas zu essen?«, fragte Otilia. Elisabeth starrte sie an.
»Äh, ich meine, wenn du Hunger hast, dann kann ich dir aus der Küche etwas mitgeben.«
Elisabeth wollte ablehnen, doch in diesem Moment knurrte ihr Magen vernehmlich, und die beiden
Weitere Kostenlose Bücher