Die Dirne und der Bischof
Wenn du magst, dann kaufe ich uns ein Stück Safrangebäck. Was hältst du davon?«
Anna drängte sich heran. »Wenn Lissi nicht will, ich nehme gern ein Stück!«, sagte sie, und in ihren Augen leuchtete die Gier. Dass sie für Süßigkeiten ihre Seele verkaufen würde, wussten alle.
Gret zwickte sie in ihre speckige Seite. »Das ist uns bekannt, aber dir hat sie es nicht angeboten, also schick dich! - Und außerdem sieht unsere Lissi nicht traurig drein, sondern ist mal wieder weit weg in ihrer Gedankenwelt, nicht wahr? Was treibt dich dieses Mal um?« Sie wartete nicht, bis Elisabeth ihr antwortete. »Es ist die Ratsfrau. Seltsam, nicht?« Gret nickte wissend.
»Warum?«, fragte Anna. »So seltsam war das doch auch wieder nicht. Eher komisch, wie sie so plötzlich in sich zusammengesackt ist.«
»Halt deinen vorlauten Mund, wenn eh nur dummes Zeug rauskommt«, wies sie Gret zurecht. Anna verschränkte schmollend die Arme vor der Brust.
»Du gemeine Ziege«, maulte sie. »Du bildest dir ein, du bist schlau und weißt alles und du könntest mir den Mund verbieten.«
»Schlauer als du bin ich allemal, und außerdem größer und stärker. Und wenn du nicht mit dem Gezeter aufhörst, hast du schneller rote Wangen als du gucken kannst. Du schleichst schon bedenklich nahe an einer Backpfeife entlang. Also strapaziere meine Geduld nicht länger!«
So kabbelten sie sich den ganzen Weg bis zu den Domstufen, wo die Frauen sich Gebäck kauften und dann den Rückweg zum Frauenhaus antraten.
Elisabeth blieb den ganzen Tag über schweigsam und zog sich von den anderen zurück. Heute, an so einem hohen Feiertag, wagten selbst die hartnäckigen Gäste nicht, ins Frauenhaus zu kommen, und so störte sie niemand, um sie zu ihrer Pflicht zu rufen. Elisabeth saß an der Böschung der Kürnach im Gras und starrte ins Wasser. Der Anblick der Frau ging ihr nicht aus dem Sinn. Egal, wie sie es drehte und wendete, ihre heftige Reaktion ließ nur den einen Schluss zu: Die Ratsfrau hatte sie erkannt - oder zumindest geglaubt, sie zu kennen. Und die Erkenntnis, dass Elisabeth zu den Dirnen des Frauenhauses gehörte, hatte ihr solch einen Schreck versetzt, dass sie in Ohnmacht gefallen war. Elisabeth sah auf ihre schmalen Hände herab, die inzwischen rau und rot und nicht mehr weiß und weich wie zu Anfang waren. Im Gegensatz zu den anderen Frauen hier konnte sie lesen und schreiben und sogar rechnen. Sie gehörte nicht hierher! Sie stammte aus einer ehrbaren, vielleicht sogar reichen und mächtigen Familie. Wer war sie? Wieder einmal marterte sie ihren Kopf, um ihm die Erinnerung an ihr vergangenes Leben zu entreißen. Vergeblich. Sie fand nur Schwärze und wirbelnde Nebel.
Elisabeth seufzte. Sie wollte es aber wissen. Sie musste es wissen! Hatte sie nun endlich jemanden gefunden, der ihr weiterhelfen konnte? Aber wie sollte das gehen? Sollte sie, eine Dirne aus der Pleichach, zum prächtigen Hof der von Suppans gehen, die Hausherrin zu sprechen verlangen und sie dann fragen, wer sie sei?
Als Elisabeth am nächsten Morgen erwachte, beschloss sie, genau das zu tun: bei der Familie des Ratsherrn von Suppan vorzusprechen und die Hausfrau zu fragen, ob sie sie erkenne und wie ihr Name sei. Dass die Meisterin davon nichts halten würde, war ihr klar, daher sprach sie nicht einmal mit Jeanne von ihrem Vorhaben. Als Else die Aufgaben für den Tag verteilte, schlug sie vor, mit Jeanne und Ester zu tauschen und an deren Stelle Eier und Milch kaufen zu gehen.
»Ich gehe alleine«, sagte sie und versuchte ihre Stimme nicht drängend klingen zu lassen.
Alle gingen sie gern in die Stadt und genossen es, der Aufsicht der Meisterin für eine Weile zu entkommen, aber Ester nickte gelassen. »Wenn du lieber gehen möchtest, dann helfe ich bei der Wäsche. Soll ich deinen Rock auch einweichen?«
»Du bist zu gut für diese Welt«, sagte Gret und schüttelte den Kopf. »Du lässt dich von jedem ausnutzen.« Sie ging davon.
Elisabeth bedankte sich bei der entstellten Frau mit dem sanften Gemüt und ließ sich den Korb und den Beutel mit den abgezählten Münzen reichen. Jeanne sah sie an. »Du willst alleine gehen? Und vermutlich soll ich dich nun nicht fragen, warum?«
Elisabeth senkte den Blick. »Nein, wenn es möglich ist. Ich bitte dich, um unserer Freundschaft willen.«
Die Französin seufzte und schüttelte das schwarze Haar. »Na gut, um unserer Freundschaft willen. Wobei ich zu gern wüsste, was du vorhast. Ich kann dich nur beschwören,
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