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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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parlieren?«
    Weisen lehnte sich auf sein Schreibpult, ließ die Briefe auf das Holz gleiten – genau auf die Notizbücher, die er niemals aus den Augen ließ. Noch hatte Maximilian keine Gelegenheit erhalten, sich diese genauer anzusehen. Obwohl ein Teil von ihm darauf brannte, einen Blick in das Geheimste des Vikars zu erhalten und den Worten des Mädchens nachzugehen, befahl ihm ein anderer Teil seiner Seele ,sich von diesem Vorhaben zu verabschieden. Hier bekam er alles, was er sich wünschte. Sogar ein wenig Seelenfrieden. Der Vikar war so viel mehr als nur sein Lehrer – er war sein Mentor und Beichtvater. Jeden Tag aufs Neue überzeugte ihn Weisen, dass er nicht das Monstrum sein konnte, als das ihn Amelie, diese arme Seele, bezeichnet hatte. Tatsächlich hatte er bereits mehrmals bereut, sie laufen gelassen zu haben. Über ihre Lippen waren die Worte einer Irren gedrungen. Er hatte sich in ihren Bann ziehen lassen, ein Versäumnis, für das er sich heute noch ohrfeigen könnte. Oder war es anders? Der Vikar hatte eine Schutzmauer um sein Innerstes gezogen. In der einen Sekunde war er der liebevolle Beichtvater, der kein Wässerchen trüben konnte, in der anderen der kühle Stratege, mit diesen durchdringenden bernsteinfarbenen Augen, in denen keine menschliche Regung zu erkennen war.
    Wie ein Gelehrter, der seinen Schüler zurechtwies, erhob der Vikar mahnend den Finger.
    »Deine Ausführungen sind im Kern richtig und du bist ein aufmerksamer Mann, Maximilian. Jedoch treffen deine Schlussfolgerungen nicht zu. Für dich mag es vielleicht erscheinen, als sympathisiere ich mit dem Feind. Doch bedenke, der Niederrhein ist fest in hessisch-französischer Hand. Wenn Hatzfeld mit seinen Truppen nicht mehr imstande ist, die Gebiete zurückzuerobern, müssen wir uns mit der Situation arrangieren. Es ist besser, der Feind ist uns wohlgesonnen, als dass er mit seiner ganzen Grausamkeit jedes Dorf, jede Stadt und alles, was sich darin befindet, plündert und niederbrennt.« Er atmete tief durch, wollte die Reaktion Maximilians abwarten. Aus dessen Augen sprach weiter Unverständnis. »Lies die Briefe!«, forderte der Vikar.
    Maximilian musste sich zwingen, sich von dem Mann abzuwenden und seine Konzentration auf die Schriftstücke zu lenken.
    »Hier steht, dass Major von Rosen die Aufnahme von Gefangenen und verwundeten Soldaten und Frauen aus dem Tross in unsere Abtei erwägt. Als Gegenleistung würde Viersen weniger Einquartierungen erhalten und die Stadt bliebe verschont.«
    Maximilian hob sein Gesicht. Für einige Sekunden rauschten fast vergessene Erinnerungen der Kriegstage an seinem inneren Auge vorbei. Irgendetwas stimmte hier nicht. Dies war nicht der Krieg, den er in Erinnerung hatte. »Warum sollte Major von Rosen das tun? In diesen Zeiten sterben Hunderte Männer an ihren Verletzungen auf dem Schlachtfeld. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass den Befehlshabern das Schicksal der Verwundeten oftmals einerlei ist, solange sie in einem warmen Bett außerhalb des Lagers residieren können.«
    Voller Anerkennung nickte der Vikar. »Schon wieder ein richtiger Gedanke. Auch wenn ich Major von Rosen lediglich aus unserer Korrespondenz kenne, weiß ich, dass er ein gewiefter Taktiker ist. Bei den Männern ist er gleichzeitig gefürchtet und beliebt. Ein harter Hund, der keine Verfehlung durchgehen lässt, sich aber um seine Soldaten kümmert. Vielleicht mit ein Grund dafür, warum er sich so lange behaupten und viele Schlachten erfolgreich schlagen konnte.«
    Maximilian lehnte sich zurück, strich sich mit dem Daumen über das Kinn. »Ich verstehe noch nicht ganz …«
    »Nun«, begann der Vikar lächelnd und setzte sich halb auf seinen Schreibtisch. »Überleg, junger Schmied. Du warst selber als Freiwilliger in der kaiserlichen Armee. Wie wir beide wissen, bestehen die heutigen Armeen größtenteils aus Landsknechten – Wanderarbeitern des Todes, wenn du so willst. Ist ein Feldzug beendet, werden die Krieger arbeitslos. Ihnen ist egal, wofür sie kämpfen. Für den Kaiser, für die Hessen, alles unwichtig, solange der Sold pünktlich bezahlt wird und ein paar Huren dem Tross folgen.« Der Vikar bekreuzigte sich und blickte an die Decke. »Der Herrgott möge ihren armen Seelen den richtigen Pfad weisen.« Dann fuhr er im vorangegangenen Tonfall fort. »Wenn du also ein Landsknecht bist und in einer von beiden Armeen dienen willst, für welche entscheidest du dich?«
    Natürlich. Es war einfach. Langsam verstand

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