Die Dirne vom Niederrhein
mit der Gewissheit, dass sie vergangene Fehler nicht noch einmal machen wollte. Sie musste die Mädchen beschützen, egal um welchen Preis.
Kapitel 10
- Der Gehilfe des Henkers -
»Du wirkst abwesend.«
Verschreckt erhob Maximilian das Gesicht und blickte Vikar Weisen an. Der Geistliche streichelte mit einer Gänsefeder über seine Schläfe, während er Maximilian mit interessiertem Ausdruck musterte.
Diese Nachmittage waren eine Wohltat. Der Vikar hatte Wort gehalten. Lediglich am Morgen musste Maximilian die Arbeiten ausführen, die Schwester Agathe ihm auftrug. Während ihr Ton eisig und voller Hass war, glühten die Augen des Vikars freudig, wenn er nach dem Mittagsmahl an die schwere Tür seiner Schreibstube klopfte und um Einlass bat. Mit stoischer Ruhe und Geduld hatte er Maximilian in wenigen Wochen die Künste des Schreibens und Lesens vermittelt. Sogar eine schöne Handschrift hatte Vikar Weisen ihm attestiert. Langsam bekam Maximilian eine Ahnung von den Geschäften der Abtei – verstand, warum die Krankenstube ein wichtiger Bestandteil war und wie nötig das Geld von der Kurie vor Ort benötigt wurde. Sie arbeiteten bis tief in die Nacht, mehrmals fiel Maximilian erst in den frühen Morgenstunden in sein Bett, um bald darauf von Schwester Agathe geweckt zu werden.
»Ich … ich musste gerade an meine Heimat denken«, antwortete Maximilian und blinzelte. Die Nachmittagssonne brach durch die Fenster der Stube herein und erhitzte den Raum. Nach diesem eisigen und von Dunkelheit durchzogenen Winter war jeder Lichtstrahl ein Hochgenuss. Dass ihm seine Kleidung selbst in den Abendstunden am Körper klebte, war zweitrangig.
Der Vikar legte seinen Federkiel beiseite. »Und? Was sind das für Gedanken, die dir im Kopf herumspuken?«
Einen Herzschlag lang wusste Maximilian nicht, wie er darauf antworten sollte.
»Ich bin ein Mann Gottes«, fügte der Vikar mit seinem gewinnenden Lächeln hinzu. »Wenn du es mir nicht erzählen kannst, wem dann?«
Maximilian ließ sich von seiner freudigen Laune anstecken. Dieser Mann konnte innerhalb weniger Augenblicke Vertrauen hervorrufen und einem die Angst nehmen. Wenn Maximilian sich nur sicher sein konnte, dass die Anschuldigungen Amelies unbegründet waren.
»Erst war ich glücklich. Jetzt fühle ich Selbsthass und Schmach, wenn ich an meine Familie denke, die ich in der schwersten Stunde verließ.«
Nickend legte der Vikar seine Fingerkuppen aneinander. »Du hast immer noch Schuldgefühle, wegen deines Bruders. Das ist ganz normal. Aber wenn Gott gewollt hätte, dass du stirbst, hätte er es zugelassen. Du gehst den Weg, den er für dich bestimmt hat – und du kannst jederzeit zurück zu deiner Familie.« Er erhob sich langsam und schritt auf Maximilian zu. »Obwohl ich es sehr bedauern würde, wenn mir eine fähige Kraft wie du auf einmal fehlen würde.« Der Vikar setzte sich neben ihn auf die Holzbank und legte die Hand auf seine Schulter. »Selbst die schlimmsten Zeiten gehen vorbei, mein Junge. Und du wirst irgendwann deinen Frieden mit dem Geschehenen machen.« Dann stand er auf, nahm einen Stapel Briefbögen von seinem Schreibtisch und hielt Maximilian diese vor das Gesicht. »Solange es noch nicht so weit ist, bin ich mir sicher, dass du dein Heil in der Arbeit findest. Dies ist meine Korrespondenz des heutigen Tages.«
Maximilian warf einen kurzen Blick über die Briefbögen. Augenblicklich hatte er das Gefühl, als würde die Hitze des Raumes sich in seinen Wangen sammeln. »Aber Herr, diese Nachricht ist von Major von Rosen.«
»Und?«
»Er ist unser Feind, der Bluthund des Generals von Eberstein, Kommandeur der hessischen Truppen.« Maximilian überflog die Papiere. »Er ist schuld, dass die Hessen und Franzosen den Niederrhein mit Krieg überzogen haben. Sie handeln direkt im Auftrag der hessischen Landgräfin Amalia Elisabeth.«
Vikar Weisen war bereits damit beschäftigt, Dokumente zu studieren, dabei runzelte er die Stirn und legte einen Finger an sein Kinn. »Dies ist mir alles bekannt, junger Schmied. Ihre Armeen liegen direkt vor Neuß.«
Ungläubig blickte Maximilian den Mann an und stand auf. »Aber Herr, diese Männer sind unsere Feinde. Vormals Mitglieder der protestantischen Liga. Sie gehören nicht … Eurem Glauben an.« Beinahe hätte er ›unserem‹ gesagt, biss sich jedoch im letzten Moment auf die Zunge. »Solltet Ihr nicht den kaiserlichen Truppen unter General Hatzfeld die Treue halten, anstatt mit den Hessen zu
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