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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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immer strebte.«
    Für einen Moment funkelten sich die Männer an. Zufrieden und voller Entzücken.
    Früher hätte Maximilian aufgehorcht, hätte sich den Kopf darüber zerbrochen, was er damit meinte. Doch nicht in diesen Tagen. Weghören war einfach, den Gedanken beiseitezuschieben noch leichter.
    Mit einem Seitenblick aus dem Fenster klatschte der Vikar in die Hände. »Meine Lieben«, begann er mit einer ausladenden Geste. »Langsam senkt sich die Nacht über die Stadt. Bald werden die ehrenwerten Nonnen zu ihrem letzten Gebet erscheinen.« Der Vikar ging zu dem großen Schrank in der Ecke und strich über das Gewand, welches er beim Abendgebet zu tragen gedachte. »Maximilian, ich habe eine Bitte an dich. Eine bedürftige Seele muss in dieser Nacht noch die Absolution erhalten. Einzelheiten sind in diesem Falle nicht von Belang. Es ist eine junge Frau, sie wartet auf dich hinter der Remigiuskirche. Bring sie in meine Schreibstube.«
    »Was ist mit den …?«
    »Eine Abschrift der Dokumente kannst du morgen anfertigen. Papier ist geduldig. Das Wohl der Menschen nicht.«
    Vorsichtig legte Maximilian die Schriftstücke auf den Schreibtisch, warf einen verstohlenen Blick auf die drei in Leder eingebundenen Notizbücher und verbeugte sich schließlich vor dem Vikar.
    »Und Maximilian«, rief der Vikar, als er beinahe aus der Tür heraus war. Der Kopf des Mannes fuhr herum. »Benutz diese Tür«, wies ihn der Vikar an und deutete mit einem Kopfnicken auf die zweite Tür, welche von der Schreibstube abführte. Wenige Male hatte Maximilian den schmalen Gang benutzen dürfen. Man musste seinen Kopf einziehen, um hindurchschlüpfen zu können. Der Gang führte direkt zu einer kleinen Pforte auf der rechten Seite der Abtei, versteckt hinter Gestrüpp und Büschen, sodass man ungesehen das Kloster betreten oder verlassen konnte. »Wir wollen niemanden stören.«
    Maximilian deutete ein Nicken an und verließ die Studierstube. Die letzten Strahlen der glühenden Sonne flimmerten in den engen Gassen Viersens, als er auf die Kirche zuschritt. Beinahe hatte er das Gefühl, als hätte die Hitze noch einmal zugenommen. Die heiße Luft lähmte seine Gedanken. Lange Schatten zogen sich über den Boden. Noch wenige Augenblicke, dann würde die Sonne untergehen. Er hielt inne.
    Es waren kaum mehr Menschen in den Gassen zugegen, als er beobachtete, wie die Sonne sich am Horizont herabsenkte. Die Schatten auf dem Boden waren verschwunden. Augenblicklich war ihm, als würde der kühle Hauch der Nacht ihm in den Nacken pusten. Eine Gänsehaut überkam ihn, und mit ihr fanden die Gedanken aus jener Nacht den Weg zurück in seinen Geist. Hastig fuhr sein Kopf herum.
    War da ein Schrei? Nein, das spielte sich in seinem Kopf ab. Ein weiteres Mal drehte er sich schnell um, weil er glaubte, eine allzu bekannte Stimme zu hören. Sie kam aus einer Gasse, zwischen zwei großen Häusern mit geweißelter Fassade. Langsam näherte sich Maximilian dem Ursprung des Geräuschs. Ein weiteres Mal dieser Ruf, den er jahrelang wie selbstverständlich gehört hatte. Seine Schritte wurden langsam, die Augen waren verengt, als er in die Gasse trat.
    »Lorenz?«, flüsterte er zaghaft.
    Das konnte nicht sein, dass war nicht die Wirklichkeit. Sein Bruder war tot. Seine eigene Klinge hatte die Brust des Bruders durchbohrt, das warme Blut von Lorenz hatte sich über seine eigenen Hände gelegt. Trotzdem zog es ihn in diese Passage. Von Schimmel bedeckte Kisten waren hier aufeinander gestapelt, zudem stank es nach Unrat und Erbrochenem.
    »Lorenz?«, sagte er lauter und mit zitternder Stimme.
    Mit seinem Gesicht ging er ganz nah an einen der Stapel heran. Ein Fauchen ließ ihn zurückschrecken. Nur mit Mühe konnte er das Gleichgewicht halten, um nicht in die Fäkalien zu fallen, als ihn eine Katze ansprang und schnell das Weite suchte.
    »Nicht erneut«, fluchte er, die Hand auf seine Brust gelegt. Sein Herz pochte wie wild, als er der Katze nachblickte. »Verdammtes Vieh.« Kurz dachte er darüber nach, ob es dieselbe war, die ihm auf dem alten Bauernhof eine Heidenangst eingejagt hatte. Das getigerte Fell sah identisch aus. Allerdings war es schwer auszumachen in der Dunkelheit. Schnell verwarf er den Gedanken.
    Wie hatte er die Geräusche einer Katze mit der Stimme von Lorenz verwechseln können? Hatte er vollends den Verstand verloren? Leider erlebte er in letzter Zeit öfter solche Hirngespinste. Er sah Schatten, die keine waren, Bewegungen um ihn herum,

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