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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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die keinen Ursprung hatten, und hörte knarrende Hölzer und das Schnurren von Katzen, welches er als Stimmen wahrnahm. Als hätte der Allmächtige ihn nicht genug gestraft, wurde er nun auch noch vom Irrsinn verfolgt.
    Maximilian fuhr sich über das Gesicht und ließ die Gasse hinter sich. Er musste sich beeilen, schließlich wollte er das Mädchen in der Finsternis nicht warten lassen. Bis zur Remigiuskirche beschleunigte er seinen Schritt, sah das Mädchen bereits von Weitem.
    Sie trug einen weiten dunkelroten Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und kauerte hinter der mächtigen Backsteinflanke des Gotteshauses. Als Maximilian wenige Fuß entfernt war, blickte sie auf.
    »Schickt dich der ehrenwerte Vikar Weisen?«, wollte sie mit zaghafter Stimme wissen. Dabei war ein Wort von beißendem Spott durchzogen. ›Ehrenwert‹.
    »Das tut er«, antwortete Maximilian und beäugte sie argwöhnisch. Ihre Kleidung wirkte alt und zerschlissen, als hätte das Mädchen sie irgendwo gefunden. Ihr Rock war völlig verdreckt und sein Saum streifte am Boden entlang. Langsam nahm sie die Kapuze ab. Auch ihre Wangen waren schmutzig. Trotzdem war ihr ebenmäßiges Gesicht voller Schönheit und Anmut. Die dunklen Haare fielen über ihre Schultern.
    »Bring mich zu ihm«, bat sie ihn mit schwermütigem Blick.
    Gemeinsam schritten sie durch die nächtliche Gemeinde. Ihr Gang war bedächtig, als zöge sie eine unsichtbare Macht zurück. Mehrmals musste Maximilian seinen Schritt verlangsamen und auf das Mädchen warten. Schließlich wurde es ihm zu bunt.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte er mit milder Stimme, eine Hand aufmunternd auf ihre Schultern gelegt. »Egal, was du beichten musst, der Vikar ist ein verständnisvoller Mann, dem du dich anvertrauen kannst.«
    Auf ihren Lippen zeigte sich ein trauriges Lächeln. »Ja, das ist er«, wisperte sie. »Er versprach mir Hilfe und Trost, Essen und Kleidung, wenn ich zu ihm komme.«
    Mit zaghaftem Druck führte er das Mädchen in Richtung des Klosters.
    »Es wird dir danach besser gehen«, sagte Maximilian und versuchte, seine Stimme ruhig und überzeugend klingen zu lassen. »Viele bedürftige Seelen finden den Weg in unsere Abtei. Er ist ein guter Mann.«
    Bei diesen Worten lachte das Mädchen leise auf. Es war kein Geräusch der Heiterkeit. Tränen rollten über ihre Wangen, als sie das Gebäude erreichten.
    »Du bist schrecklich, dass du das sagst«, schluchzte sie und hielt sich die zitternden Hände vor das Gesicht. Ihre Fingerkuppen waren blutig, für einen Herzschlag konnte er einen Blick auf ihre Handgelenke werfen. Sie waren so dünn, dass er das Gefühl hatte, sie würden zerbrechen, wenn er sie nur anfassen würde, ja, bei jedem Windhauch musste die Gefahr bestehen.
    »Warum weinst du?«, wollte er wissen, während er näher an sie herankam.
    Sie konnte nicht mehr, war am Ende ihrer Kräfte. Das Gesicht an die Wand des Klosters gelehnt, atmete sie heftig ein und aus.
    »Ich habe alles verloren«, wimmerte sie. »Einfach alles. Dieser Krieg hat mir alles genommen. Allein mein Leben, das wollte er anscheinend nicht.« Die flachen Hände über ihr Gesicht gelegt, durchzog ihr Wehklagen die Straße. »Jetzt bleibt mir keine andere Wahl, als das hier zu tun.«
    Behutsam nahm er sie in den Arm. Er spürte die warmen Tränen an seinen Hals. Er umschloss die bebende Gestalt und versuchte, ihr Trost zu spenden.
    »Auch ich dachte, dass mein Leben vorbei ist«, flüsterte er in ihr Ohr. »Oftmals denke ich es jetzt noch. Der Vikar hat mir geholfen, und ich bin mir sicher, das wird er auch dir, wenn du es zulässt.«
    Für einen Moment hatte er den Verdacht, dass ihr Wimmern heftiger wurde, doch es nahm nach einigen Sekunden ab. Mit geröteten Augen blickte sie ihn an. »Sag mir, wie du heißt, Löw.«
    Dieser Name traf ihn wie ein Schlag. Wahrlich, sie musste dringlich die Hilfe des Vikars, ja, vielleicht sogar von Doktor Sylar in Anspruch nehmen, wenn sie ihn so betitelte.
    »Ich bin nicht der Gehilfe des Henkers«, sagte Maximilian und lächelte dazu. »Du siehst mich vielleicht so, aber glaube mir, wenn du dich auf diesen Weg begibst, wird es dir besser gehen.«
    Augen voller Hass blickten ihn an. Sie stachen förmlich in seine Seele wie brennende Nadeln. »Tu dein Werk«, waren die einzigen Worte, die über ihre Lippen kamen. Maximilian öffnete die Seitentür.
    Waren ihre Schritte eben noch unsicher, strotzten sie jetzt vor wütender Kraft, als sie den schmalen Gang

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