Die Dirne vom Niederrhein
und stieg durch das Fenster in die Gärten. In den letzten Tagen hatte er hier einiges geschafft. Beete waren neu gepflanzt, Unkraut gejätet worden. Alles sein Verdienst. Die Arbeit war einfach und ehrlich. Er konnte sich den Wirrungen innerhalb des Klosters entziehen. Ein paar Minuten besah er sein Werk im Mondschein, dann wusch er sich mit einem Schwall kalten Wassers aus dem Brunnen das Gesicht. Als er die Glockenschläge vernahm, zog er seine Kleidung an, warf einen langen grauen Umhang über seine Schultern und machte sich auf den Weg zum Studierzimmer des Vikars. Wie immer zu dieser Zeit waren die Gänge der Abtei leer, vereinzelte Fackeln erhellten die kargen Gemäuer und wenigen Holzvertäfelungen. Jedes Geräusch wurde weit in die Flure hinausgetragen, seine eigene Atmung kam Maximilian vor wie das Schnauben eines Pferdes. Gerade als er seine Hand erheben wollte, um an der Tür zu klopfen, wurde er zurückgerissen.
»Warum bist du so spät noch wach?«, giftete Schwester Agathe. Ihr Blick glühte, als wollte sie ihn allein mit der Kraft ihrer Augen verbrennen.
»Ich habe einen Auftrag zu erledigen«, entgegnete Maximilian mit nicht minder hasserfülltem Blick.
»Sprich!«, zischte die Nonne.
»Mit Verlaub, aber das geht Euch nichts an.«
Die Frau kam einen Schritt näher an ihn heran. Ihre dünnen Lippen zitterten vor Zorn.
»Frevel und Bosheit regieren dieses ehrwürdige Kloster. Gottes heiliger Wille verkümmert unter dieser Lügenglocke. Es ist lange her, dass dieses Kloster sich mit guten Taten rühmen konnte. Wir werden zu einem Werkzeug des Bösen, als hätte der Teufel Einzug in diese Gebäude gehalten.« Ihr ganzer Körper bebte, eine Strähne löste sich und fiel in ihr errötetes Gesicht. »Ich dachte, dass ich auf deine Seele blicken könnte, dass der Allmächtige mir einen ehrlichen Menschen in diesen dunklen Zeiten schicken würde. Doch deine Tugenden sind Gier und Lüge, wie die von vielen anderen. Du hast dich anstecken lassen von dem reißenden Strom der Sünde, der hier regiert.« Sie fasste ihn bei den Schultern, schüttelte Maximilian durch. »Siehst du es denn nicht, Junge?«
Ihre Gesichter trennten lediglich wenige Zoll. Er konnte in ihren Augen sehen, dass sie eine bestimmte Antwort erwartete, ja, erflehte.
»Nein, ich sehe nichts.«
Schwer enttäuscht sah sie zu Boden. Plötzlich öffnete sich die Tür zur Schreibstube. Mit fragendem Blick verschränkte der Vikar die Arme hinter dem Rücken. »Schwester Agathe, warum seid Ihr zu später Stunde noch wach?«
Noch immer ruhten ihre Hände auf Maximilians Schultern. Erst langsam glitten sie herab. »Ihr wisst genau, was mir den Schlaf raubt. Dieses Kloster geht seit Langem nicht mehr Gottes Weg.«
Der Vikar zog die Stirn in Falten. »So? Wisst Ihr, ich bewundere Eure Hartnäckigkeit. Was die Kassen des Klosters angeht, könnte ich mir keine bessere Zahlmeisterin vorstellen. Aber Ihr müsst Euch damit abfinden, dass Ihr ein Mensch seid.« Er lächelte milde, wie ein Vater es tut, wenn er sein Kind beruhigen will. »Und Menschen machen Fehler. Ich habe Euch bereits mehrmals erklärt, dass Eure Berechnungen der Kassen fehlerhaft sein müssen und es wäre zu unser aller Wohl, wenn wir es dabei belassen würden.«
Eine Fackel beschien das Gesicht der Nonne, als sie sich zu Vikar Weisen drehte. »Es sind nicht allein die Kassen, auch hörte ich Stimmen aus Eurer Schreibstube. Von Frauen. Mehrmals in den letzten Wochen.«
Der Vikar nickte verständnisvoll und wechselte mit Maximilian einen vielsagenden Blick. »Nun, das ist gar nicht gut. Vielleicht solltet Ihr Doktor Sylars Rat erfragen. Ihr seht Fehler in der Kasse, die keine sind, hört Stimmen, die gar nicht existieren.« Der Vikar setzte eine mitfühlende Miene auf und legte die Hand auf ihre Schulter. »Der Krieg macht uns allen schwer zu schaffen, Schwester Agathe, und manchmal müssen wir uns helfen lassen, damit wir wieder klar sehen. Aber seid gewiss, ich werde Euren Fall mit Doktor Sylar besprechen. Wenn Ihr uns jetzt entschuldigen würdet, der Junge muss noch einen Botengang für mich erledigen.« Mit diesen Worten zog er Maximilian in den Raum. Bevor er die Tür schloss, wendete er sich erneut an Schwester Agathe. »Vielleicht solltet Ihr Euch in den nächsten Tagen etwas Ruhe gönnen. Ich befreie Euch hiermit vom Dienst im Kloster, nur die Mahlzeiten in der Krankenstube solltet Ihr einnehmen, damit Ihr in Eurer Stube ein wenig Kraft schöpfen könnt.«
Dann schloss er
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