Die Dirne vom Niederrhein
schien sich der Schlund des Teufels zu öffnen und der Allmächtige grollte dazu seine donnernde Symphonie.
Ja, dies musste der Eingang der Hölle sein. Jetzt würde der Sensenmann ihn holen. Dessen war er sich sicher.
»Es tut mir leid«, wisperte er in die Nacht hinein. »Lorenz, es tut mir unendlich leid.«
Tränen rannen über seine Wangen und die nassen Haare fielen ihm ins Gesicht, als er mit den Händen vor Scham seine Augen bedeckte. Die Mauern der Kirche wurden von den Blitzen weiß gezeichnet, als ein weiterer Paukenschlag ertönte. Es war zu viel, einfach zu viel.
Von Panik erfüllt sammelte er seine letzte Kraft. Weg von hier, nur weg von diesem Ort. Doch seine Beine versagten ihren Dienst. Maximilian torkelte, seine Füße versanken im Schlamm, bis er fiel. Benommen blickte er nach oben. Als weitere Blitze die Nacht durchschnitten, meinte er, in das Antlitz von Lorenz zu blicken. Das konnte nicht wahr sein. Es musste die Täuschung seines ausgemergelten Geistes sein. Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Wann geschlafen?
Angst trieb ihn auf die Beine. Mit reinem Entsetzen im Gesicht rannte er, so schnell er konnte. Irgendwann war seine letzte Kraft verbraucht. Die Lider halb geschlossen, lehnte er sich an eine Hauswand. Sein Atem rasselte, seine Knie gaben nach. Der totalen Erschöpfung nahe, legte er sich in den Hauseingang und rollte sich zusammen wie ein Hund. Noch immer tobte das Unwetter. »Verzeih mir, Lorenz«, murmelte er bereits im Halbschlaf. Wenige Atemzüge später wurde alles dunkel und die Gesetze der Welt verloren in seinen Albträumen ihre Gültigkeit.
Kapitel 4
- Zufällige Begegnungen -
»Wach auf, Schönheit.«
Elisabeth wähnte sich in einem Traum. Schönheit? So hatte sie lange Zeit niemand mehr genannt.
»Ah, blinzeln kannst du also noch.«
Ihr Körper schmerzte, ihre Arme konnte sie kaum bewegen und das Atmen fiel ihr schwer. Ihr Handgelenk war mit einem dicken Verband umwickelt. Es dauerte etliche Sekunden, bis sie verstand, dass sie noch am Leben war.
»Wer …?«, versuchte sie zu sagen. Ihr Mund fühlte sich trocken wie eine Wüste an. Sofort wurde sie von der Frau unterbrochen und ein Becher wurde an ihre Lippen gesetzt.
»Trink das, es wird dir guttun.«
Sie kannte den Geschmack des Getränks. Es war Wein.
»Ja, genau. Trink den ganzen Becher aus, damit du schnell zu Kräften kommst.«
Jeder Schluck schmerzte, als ob ihr Körper das Trinken erst wieder lernen musste. Nachdem sie ausgetrunken hatte, festigte sich Elisabeths Blick. Sie lag auf weichen Laken und ein süßlicher Duft drang ihr in die Nase. Die Fetzen, die sie am gestrigen Tag noch getragen hatte, waren verschwunden und eine dicke Wolldecke bedeckte ihren nackten Körper.
Die Frau bemerkte ihre Scheu. »Keine Angst«, sagte sie laut.
»Wo bin ich?«, versuchte Elisabeth es erneut. Ihre Worte waren schwach und durchzogen von Unsicherheit. Die Frau hievte ihren massigen Körper hoch, lächelte mild und tunkte ein Stück Stoff in eine dickflüssige Paste.
Elisabeth sah in verständnisvolle blaue Augen, dann blickte sie sich im Raum um. Sie lag in einem kleinen Wagen, nicht größer als die Rumpelkammer ihres Elternhauses. Bunte Stoffe hingen von der Decke herab, zwei kleine Fenster waren in den Wagen eingelassen, durch die zarte Sonnenstrahlen hereinfielen. Ruhigen Schrittes kam die Frau zurück und legte den alten Verband beiseite.
»Ich weiß nicht, was dir widerfahren ist, Kind«, sagte sie. »Aber für ein schönes Mädchen wie dich wird es eine Menge Gründe geben, um weiterzuleben, oder?«
Als ihre tiefe Wunde zum Vorschein kam, wand Elisabeth ihren Blick ab. »Nein«, hauchte sie und beobachtete die tanzenden Staubflocken im Sonnenlicht. Es brannte fürchterlich, als die Frau den nassen und widerlich stinkenden Stofffetzen auf ihre Haut drückte. Voller Schmerz verzog Elisabeth das Gesicht.
»Hoffentlich wird sich die Wunde nicht entzünden«, murmelte die Frau und zog den Verband eng um das verletzte Handgelenk.
Voller Zorn blickte Elisabeth sie an: »Wieso hast du mich nicht einfach in Ruhe sterben lassen?«
Die Frau gab ihr einen Klaps auf die Finger.
»Nicht in diesem Ton, junge Dame«, erwiderte sie scharf. »Du hast mir gar nichts zu befehlen. Ich habe schon Dinge erlebt, als deine Eltern noch nicht einmal imstande waren, dich zu zeugen.« Einige Sekunden herrschte Ruhe, nach wenigen Sekunden setzte sie erneut an. Dabei hatte sie eine so kraftvolle Ausstrahlung, dass sich
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