Die Dirne vom Niederrhein
die Truhe, wühlte zwischen den Wälzern und Schriftstücken, bis er die drei in Leder eingebundenen Bücher fand. Triumphierend hielt er sie in die Höhe. »Seht Ihr, sie sind hier, nicht in Köln, Eure Anschuldigungen sind haltlos.« Er begann, in den Büchern zu blättern, und seine Stimme wurde mit jedem Herzschlag leiser. »Es ist alles hier aufgezeichnet …«
»Sie sind leer«, sagte Maximilian und stellte sich vor Weisen. »Es war eine ganz schöne Arbeit, sie gebraucht aussehen zu lassen. Doch die Crefelder Buchbinder haben gutes Handwerk geleistet, findet Ihr nicht?«
Das Gesicht des Vikars verwandelte sich in eine hässliche Fratze. Voller Zorn zog er den Säbel eines Soldaten und holte aus. »Du kleiner Bastard, ich werde dich …«
Maximilian wich erschrocken zurück. Er war zu weit gegangen, hatte nicht damit gerechnet, dass Weisen selbst die Hand gegen ihn erheben würde. Überrumpelt ließ Maximilian sich auf den Boden fallen und hob den Arm zum Schutz, als die Klinge in der Nacht aufblitzte. Doch der Schlag Weisens wurde gestoppt. Um den Griff des Säbels hatte sich eine Hand gelegt, so riesig und mit kleinen Narben übersät, wie Maximilian sie nur von einem einigen Menschen kannte.
»Aber, aber, wer wird denn Gewalt anwenden wollen?«, brummte Jakob.
Maximilian konnte nicht glauben, dass sein alter Freund tatsächlich vor ihm stand. Der riesige Kerl hatte keine Mühe, den Vikar in die Knie zu zwingen. Trotz seiner jungen Jahre wurde Jakobs dunkles Haar schon lichter. In ihrer Heimatstadt war er als Taugenichts verrufen gewesen.
»Wer bist du? Scher dich weg, du hast hier nichts zu schaffen!«, brüllte Weisen und ballte die andere Hand zur Faust.
»Das würde ich nicht machen«, drohte Jakob ruhig.
Weisen lächelte. »Du kannst keinen Mann der Kirche schlagen.«
Jakobs Antwort war eine donnernde Faust, mit der er die Nase des Vikars brach. »Wieso nicht?«
Dann streckte der Hüne Maximilian die Hand hin und zog ihn an seine massige Brust. »Eisenklopper! Ich hätte nicht gedacht, dich jemals wiederzusehen.«
Noch bevor Maximilian auf seinen alten Spitznamen reagieren konnte, erklang die von Schmerz durchzogene Stimme Weisens. »Tötet sie. Tötet sie alle!« Dabei zeigte Weisen mit der einen Hand auf Maximilian und Jakob, mit der anderen fasste er sich an seine gebrochene Nase.
Wieder war Unsicherheit in den Augen der beiden Soldaten zu lesen. Der eine zog den Säbel aus der Scheide, der andere hob seine Waffe vom Boden auf. Gerade nachdem sie den ersten Schritt gemacht hatten, hielten sie plötzlich inne. Ihre Blicke gingen über Maximilian und Jakob hinweg.
»Schlechter Einfall. Ganz schlechter Einfall.«
Auch diese Stimme war Maximilian wohlbekannt. Schnell drehte er sich um und erblickte Gustav, wie er eine Muskete auf den Wagen angelegt hatte und auf die beiden Soldaten zielte.
»Na, wen von euch beiden soll ich als Erstes erledigen?«, wollte der rothaarige Junge spöttisch wissen.
»Knall sie ab, Ratte«, schrie Jakob und lachte auf.
Das Grinsen auf Gustavs Gesicht war unverkennbar. Durch einen unbeabsichtigten Schlag Jakobs war Gustavs Oberlippe seinerzeit geplatzt und nie mehr richtig zusammengewachsen. Seitdem lispelte er ein wenig. Dank seiner Ähnlichkeit mit einer Ratte hatte sich der Name dieses Tieres schnell als Spitznamen des wortkargen Jungen verbreitet. Sein dickes dunkelrotes Haar schimmerte im Licht der Fackeln eine Nuance feuriger und ließ die spitzen Züge seines sommersprossigen Gesichts ein wenig mehr denen eines Nagetieres ähneln. Sie kannten sich, seit Maximilian sich zurückerinnern konnte, und ein weiteres Mal war Maximilian unendlich dankbar, dass er die beiden seine Freunde nennen konnte.
Noch immer funkelten Rattes Augen angriffslustig. »Also, meine Herren, was darf es sein?«
Endlich ließen die Soldaten ihre Waffen sinken, legten sie auf den Boden und machten einen Schritt zurück.
»Das darf nicht sein!«, brüllte Weisen und ließ seinen Blick über die Wand aus Nonnen schweifen, bis er bei Ratte und Jakob landete. »Wer seid ihr?«
»Freunde von Maximilian. Als er mir die Bücher übergab, bat er mich, diese beiden Männer zu benachrichtigen«, antwortete Schwester Agathe und trat nach vorn. »Weisen, schert Euch hinfort.«
Während die Nonnen ruhig hinter Schwester Agathe standen, rumorte es bei den Huren. Ihre Augen funkelten in der Dunkelheit, Maximilian konnte sich denken, was sie am liebsten mit Weisen und dem Arzt gemacht hätten.
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