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Die Doppelgängerin

Die Doppelgängerin

Titel: Die Doppelgängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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wollen zwar zeigen, wie
ungeheuer lässig sie sind und daß sie turmhoch über dem ganzen Kulturbetrieb
stehen — aber letzten Endes zeigen sie doch nur, wie wenig sie unterscheiden
können. Die kapieren nicht, daß sie damit die ganze Atmosphäre und Stimmung
kaputt machen. Und daß es nun mal Ereignisse gibt, die nicht in der Mülltonne
stattfinden. Das Leben hat viele Seiten und viele Situationen. Und wer dorthin
geht, wo ihm Kunst geboten wird, der sollte sich den Spielregeln anpassen.“
    Der Meinung waren alle. Aber auch, daß
Tarzans Garderobe der Pension Waberina angemessen sei.
    Es wurde Zeit zum Aufbruch.
    Bärbel und Inge radelten los.
    Die TKKG-Freunde ließen sich Zeit und
fuhren gemächlich durch den lauen Abend in Richtung Bleibetreu-Straße.

    „Als Inges Freund“, sagte Gaby zu
Tarzan, „würde ich mich an deiner Stelle nicht ausgeben.“
    „Wieso? Ist das nicht glaubhaft? Ich
sehe doch wie sechzehn aus. Jedenfalls wird mir das immer gesagt.“
    „Schon. Aber wenn ihr euch wie ein
Pärchen... Ich meine, so in die Pension einmieten... Ist irgendwie komisch,
nicht? Vielleicht ist die Waberina besonders streng... äh, sittenstreng, meine
ich. Als Cousin oder Bruder... ich fände das besser.“
    „Wahrscheinlich hast du recht.“
    Tarzan verzog keine Miene. Er hatte
kapiert. Daß er und Inge als Pärchen auftraten, war Gaby nicht recht. Weshalb
wohl? überlegte er. Ist das etwa Eifersucht? Hm! Bei dem Gedanken wäre er
beinahe rot geworden.
    Sie erreichten die Eisenbahnbrücke,
hinter der die Bleibetreu-Straße begann. Der Ostbahnhof befand sich in der
Nähe. Ein Dutzend Schienenstränge verlief hier, führten stadtauswärts, waren
eingebettet in einen ehemaligen — inzwischen ausgemauerten — Flußlauf, den die
Brücke überspannte.
    Rußgraue Mietskasernen und Wohnblocks
mit fleckigen Mauern boten einen tristen (trübseligen) Anblick.
    In der Bleibetreu-Straße parkten zahlreiche
Wagen auf beiden Seiten. In den Eckkneipen war Betrieb, auf der Straße nicht
mehr.
    Tarzan ließ seine Freunde bei der
Brücke warten, fuhr durch die Straße und suchte Haus Nr. 14. Es war der zweite
Eingang eines Wohnblocks, wo im Erdgeschoß kleine Läden verkümmerten: eine
Fahrradhandlung, ein Blumengeschäft, eine Wäscherei und ein Tabakladen, der
auch Zeitschriften führte und außerdem eine Annahmestelle des Deutschen
Lottoblocks war.
    Tarzan entdeckte ein Messingschild
neben dem Eingang: PENSION WABERINA I. Etage.
    Die Haustür stand offen.
    Er blickte zu den Fenstern hinauf.
    Sie waren geschlossen. Der Zustand
ihrer Rahmen ließ vermuten, daß sie — bei dem Versuch, sie zu öffnen — auf die Straße
fallen würden.
    Na, die eine Nacht, dachte er, wird
Inge es aushalten.
    Er fuhr zu seinen Freunden zurück und
berichtete.
    „Wahrscheinlich kommt’s billig, wenn es
so mies ist“, meinte Gaby.
    Sie setzten sich auf die Brückenmauer
und warteten.
    Klößchen holte grinsend ein in Papier
gewickeltes Paket aus der Hosentasche. Zum Vorschein kam ein zusammengeklapptes
Brot. Zwar war die eine Hälfte mit Ölsardinen belegt, die andere mit
Nougataufstrich, aber zusammengeklappt hatte er sie trotzdem. Ihn störte diese Zusammenstellung
nicht.
    „Guten Appetit!“ sagte Gaby angewidert.
    „Sardinen in Nougatcreme!“ Karl
schüttelte den Kopf. „Moderne Feinschmeckerköche lassen sich zwar den größten
Blödsinn einfallen, um ihre Sterne (Auszeichnungen) zu kriegen. Aber
darauf ist noch keiner gekommen.“
    „Ich weiß, daß ich unschätzbare
Pionierarbeit leiste“, erklärte Klößchen bescheiden.
    Tarzan beobachtete einen Güterzug, der
unter der Brücke stadtauswärts rumpelte. Er hatte Container (Großbehälter
für Gütertransport) geladen.
    Inge und Bärbel kamen zehn Minuten
früher als ausgemacht.
    Inge trug jetzt einen blauen Faltenrock
und eine weiße Bluse mit langen Ärmeln. Sie hatte ihr Haar zum Mittelzopf
geflochten, wodurch sie ihrer Doppelgängerin Bärbel noch ähnlicher wurde. Eine
abgeschabte Reisetasche schaukelte auf Inges Gepäckträger.
    „Ich habe mir eine Geschichte
zurechtgelegt“, sagte Tarzan. „Dazu bist du die richtige Erscheinung, Inge.
Gerade mit dem Zug angekommen. Prima! Mit deinen Eltern ist alles klar?“
    Inge nickte, sie war aber ganz zappelig.
Da nützte es auch wenig, daß Gaby und Bärbel ihr beruhigend zusprachen.
    „Nur gut, daß ich Tarzan habe“, sagte
Inge. „Allein hätte ich doch keinen Mut.“
    „Ja“, sagte Gaby, „ich bin zwar

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