Die Doppelgängerin
noch die Fenster“, sagte er.
„Denen schadet der Rauch nicht.“
„Ich meine, der Schweinehund, der das
mit dem Telefon gedeichselt hat, muß durchs Fenster eingedrungen sein.“
„Du kannst mir glauben: die waren
ausnahmslos fest verriegelt. Auch die Kellerfenster.“
Er musterte die Lachfältchen um ihre
Augen, die Krähenfüße sonst überall, die wache Gespanntheit im Blick — und kam
zu dem Ergebnis, daß sie höchstwahrscheinlich nichts übersehen hatte.
„Bärbel war’s aber nicht“, beharrte er.
„Das können Sie glauben. Sie heult sich die Augen aus und kann nicht fassen,
daß es so ungerecht zugeht.“
Siglinde hob die eckigen Schultern. „Dann
erklär mir, wie es gewesen sein soll. Wer dahinter steckt, und warum. Daß ein
Hörer allein von der Gabel springt und sich die Wählscheibe selbsttätig mit der
Zeitansage in Rom in Verbindung setzt, kann ich kaum glauben. Jedenfalls hat’s
in diesem Haus bislang nicht gespukt.“
„Die Erklärung ist immerhin ganz
vernünftig.“ Tarzan lächelte. „Man muß nur darauf kommen. Jetzt in der
Dunkelheit verspreche ich mir von einer Suche nicht viel. Aber wenn Sie gestatten,
komme ich morgen bei Tageslicht und suche alle Wege ab, die ins Haus führen.“
„Ich glaube, du kämst auch, wenn ich es
nicht gestatte“, lachte sie. „Aber natürlich ist es mir recht. Ich würde mich
freuen, wenn dieser Makel von Bärbel genommen wird. Sie ist ein so patentes (brauchbares,
gewandtes) Mädchen.“
„Ist sie. Und solange ihre Schuld nicht
erwiesen ist, sollte der Verdacht auf Eis gelegt werden — finden Sie nicht
auch?“
„Rückgängig machen läßt sich das leider
nicht. In welche Klasse gehst du denn?“
„In die neunte. Ich bin Internatsschüler
und heimlich getürmt. Das dürfen Sie nicht verpetzen. Sonst behaupte ich, Sie
hätten hier Haschisch geraucht.“
„Jetzt aber raus, du Schlingel!“ rief
Siglinde Dettl. „Ich will in Ruhe den ,Traum von der großen Liebe’ zu Ende
sehen.“
Sie war eine lustige Person und
umgänglich. Jetzt, da er sie kannte, sah er die Beschuldigung in einem anderen
Licht. Sie hatte nicht leichtfertig gehandelt, sondern — nach ihrer Meinung — logisch.
Er verabschiedete sich, sagte, daß er
morgen nachmittag käme, und ging zu seinem Rad.
Als er auf den Sattel stieg, hörte er
das Motorrad.
Es war reichlich hundert Meter entfernt
und wurde in diesem Moment gestartet. Dann schoß es — mit Scheinwerferlicht und
viel Getöse — hinter einer Hecke hervor. Es fuhr in entgegengesetzte Richtung.
Die plumpe Gestalt des Fahrers war nur
als Schattenriß wahrnehmbar.
Doch Tarzan starrte angespannt
hinterher.
Täuschte er sich — oder war das Ottmar
Paulsen gewesen? Besaß der nicht eine leichte Maschine? Aha! Also doch! War der
hergekommen, um mal zu sehen, wie es bei der Dettl stand?
Verfolgung wäre sinnlos gewesen. Trotz
seiner enormen Ausdauer und Spurtkraft hätte er die Maschine nicht einholen
können.
Aber ich weiß, dachte er, an wen wir
uns halten müssen. Nur das Motiv — zum Henker! — ist mir nicht klar. Ehrlich
und Paulsen sind böse und geldgierig. Wenn die was anzetteln, muß auch was
rausspringen. Apropos (übrigens) — der Briefkasten! Mal sehen, ob das
Lösegeld noch da ist.
Jetzt kam es nicht mehr darauf an. Die
Nacht war ohnehin halb vorbei.
Er fuhr im Eiltempo zur
St.-Irmengard-Mädchenschule und stellte fest: XY hatten den Hunderter abgeholt.
Dann zappelt auch bald ein Halunke im
Superkleber, dachte er.
In Rekordzeit erreichte er das
Internat.
Die Nacht war schwül geworden. Als er
sein Rad im Gebüsch versteckte, fielen dicke Regentropfen.
Unbemerkt gelangte er ins Haus. Das
Seil wurde im Schrank versteckt.
Klößchen schien was Aufregendes zu
träumen. Er knirschte mit den Zähnen und knurrte angriffslustig.
Tarzan stieg in Schlafanzug und
Hausschuhe, nahm seine Taschenlampe und huschte zum Speicher hinauf.
Enttäuscht stellte er fest: keine
Strickleiter! Und nichts in der klebrigen Falle.
*
Die kleine Runde an der Zonkerschen
Hausbar hatte sich um einen Zecher vermehrt. Allerdings trank Bärbel nur
Apfelsaft.
Ihre Tränen waren getrocknet. Sie
konnte wieder lachen, obschon sie spürte, daß ihre Eltern noch ein bißchen hin-
und hergerissen waren: Zwischen Vertrauen ins Töchterlein und deren
Beteuerungen einerseits, und den bitterbösen Tatsachen, die sich jeder
beruhigenden Erklärung widersetzten, andererseits.
Siglinde Dettl hatte angerufen,
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